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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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wollte er wissen, wie es in Wahrheit im letzten Jahr vor seinem Tod für den Freund gewesen war. Ob es etwas war, dem man mit Ruhe entgegensah oder mit Grausen, sozusagen.
    Dies wollte er jetzt durch das Telefon erfahren. Es war nicht so spaßig. Es war unerbittlich.
    Hast du Angst zu sterben, hatte E am Telefon gesagt, als gleichsam Schweigen eintrat, nein, hatte die Antwort durch den Apparat gekratzt, aber ich möchte vorher nicht hilflos sein . Wie lange vorher denn nicht? Überhaupt nicht, lang oder kurz, ich habe Angst vor dem schwarzen Nebel. So ist es doch für alle .
    Ist es das? Ja , hatte T erwidert, und in seiner Stimme war fast so etwas wie Ungeduld angeklungen, du hast ja dein Herz, das plötzlich stopp sagt, aber wenn ich in den Nebel gehe! Ist es das, was du wissen willst? Willst du denn, dass ich dir das Leben nehme? Nee, ich wollte nur wissen, wie es wird .
    Es kamen immer längere Pausen.
    T hatte anschließend davon erzählt, wie es war . Und wie er in seinen schlimmsten Stunden glaubte, dass es werden würde. Deshalb diese Nachfrage. Die nächsten Angehörigen waren ja so aufmunternd und liebevoll, dass man völlig das Vertrauen zu ihnen verlor. Deshalb der Telefonanruf. E war weder aufmunternd noch liebevoll, aber vielleicht ehrlich. Deshalb die Frage: Wie war es gewesen für den Freund, der gestorben war?
    Und das war auf seine Weise einfach. Es war wie eine sehr große Klarheit, und gleichzeitig ein erbarmungsloser schwarzer Nebel.
    War es so. Am Ende nur Nebel?
    Ja, nur Nebel.
    Und Hilflosigkeit?
    Ja, vollständige Hilflosigkeit.
    Schafft man es nicht einmal, irgendetwas zu schreiben?
    Man konnte vielleicht mit einem Daumenabdruck signieren, hatte er nach einer langen Pause geantwortet. Wenn man nicht allzu zitterhändig geworden war.
    Ts Stimme war jetzt schwächer, vielleicht nachdenklicher; was sollte er T sagen, etwas Ablenkendes , eine kleine Flucht? Ein Gleichnis vom Tod des Vaters? Man konnte sich ja vorstellen, dass der Vater damals auf der Krankenstation von Bureå die Stimme gehabt hatte, mit der T jetzt flüsterte. Es tat so verdammt weh, am Telefonapparat ruhig mit dem Freund zu sprechen; es wäre beruhigender, das Schicksal des Vaters noch einmal, und sei es zum x-ten Mal, zu bemühen. Die Wahrheit hierüber, besonders über die letzten vierundzwanzig Stunden, könnte man dem gierigen Schlund der Geschichte entreißen, indem man sich sozusagen des Riesenmuskels der Vorstellungskraft bediente. Festzustellen, dass dies, wenn auch nicht, was den Vater betraf, die Art und Weise war, auf die man starb! Fast immer! Also in den Nebel einzutreten, und dann in den Pausen dazwischen plötzlich alles mit unerhörter Klarheit zu sehen. Und dann wieder wegzusacken. Ja, vielleicht war es so, auch für den Vater, in den letzten vierundzwanzig Stunden, bevor Doktor Hultmann kam und routinemäßig die Augenlider hochschob und den Mann für tot erklärte und dies der flennenden Ehefrau sagte, genug jetzt, genug jetzt, zuvor erwähnt!!! Zuvor. Zuvor.
    Nein. Er musste sich zusammennehmen.
    Wovor T Angst hatte, waren mehrere Jahre im Nebel. Und keiner zur Hand, der barmherzig sein und den Knüppel auf’n Quappenkopp schlagen konnte, sozusagen, allerdings drückte er sich nicht so aus, weil er aus Stockholm war; aber jedes Mal, wenn man vom Tod sprach, war es schwer, fein zu reden , und dann brach der Dialekt durch bei dem, der hier die letzten Gespräche mit den Brüdern und Schwestern am Ufer des Flusses aufzeichnet.
    Schreib, wie es ist, also lege ein persönliches Zeugnis ab, auch wenn du zitterhändig bist: Dann klärt es sich vielleicht für uns Übrige, hatte E insistiert.
    Was schreibst du selbst jetzt, hatte T erwidert, beinahe gehässig, oder vielleicht verzweifelt. Ja, so dies und das, hatte er da zugegeben, denn was sollte er sagen. Wieso dies und das?
    Ja gleichsam scharf, und dann plötzlich im Nebel. Er hörte ja selbst, wie unklar es klang, was nicht am Telefonapparat lag, und T hatte gefragt, ist es denn so erbärmlich notwendig, dass du dieses Scharfe mitten im Nebel einschreibst? Er stutzte bei dem Wort erbärmlich , denn das hatte die Mutter zuweilen benutzt, wenn sie zu einem Kraftausdruck greifen wollte, und er hatte das Wort siebzig Jahre nicht gehört! Auf jeden Fall: Einen vorwurfsvollen Ton konnte er in der Frage nicht ausmachen! Und hatte ausweichend geantwortet Man fragt sich ja immer, ob dies das Leben war , und da hatte T gefragt Zeichnest du selbst die Antwort auf, oder

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