Das Buch der Gleichnisse
aufgenommen und ein Interesse gefasst hat.
»Als ich Kind war, lernte ich, dass es trotz allem einen Typ von Dichtung gab, der nicht Sünde war. Es waren die Gleichnisse der Bibel. Die Gedichte über das Wunder. Fünf Brote und zwei Fische, und damit konnte man fünftausend Menschen speisen. War es ein Gedicht, das vom Wesen der Liebe handelte: Sie wächst, wenn man sie teilt? Wenn dies wahr wäre. Ich habe nie Poesie schreiben können. Aber wenn ich nur ein Gleichnis schreiben könnte.
Heute werden vielleicht keine Gleichnisse mehr geschrieben. Gleichnisse über das Wesen des Wunders sind selten. Das ist vielleicht auch am besten so. Ich weiß nicht, wie ein solches Gleichnis aussehen sollte: wie ein Versuch, etwas Zerbrechliches und Empfindliches einzukreisen und festzuhalten? Aber man kann nicht ins Wunder hineingehen, direkt zur Sache, dann verschwände es ja.
War es nicht dennoch wichtig, es zu versuchen, weil es ja tatsächlich wichtig war?
Ich schreibe seit zwei Monaten, es sind insgesamt fünf Seiten geworden, einunddreißig Zeilen auf jeder Seite, eintausendsechshundertfünfzig Anschläge, vielleicht schaffe ich vor der Jahrtausendwende zehn Seiten, über den Jungen, die Katze und das Wunder in Paris. Schön, wenn wir Schnee hätten. Wenn er kam, damals, schaufelte sie den Schnee gegen das Haus, wegen der Wärme. Ich wünsche mir, wir hätten Schnee hier. Das Wunder mit dem Jungen war ja nicht genau so, wie ich es beschrieben habe, aber beinahe. Es war ein Gleichnis, aber alle glaubten, es wäre wahr, und da ging es kaputt. Die Wohnung ist sehr groß. Meine rote Katze schläft mit dem Rücken gegen die Rückseite der Schreibmaschine, das Dröhnen weckt sie nicht, auch nicht das unerhörte Schweigen, das üblicherweise herrscht: Die Tasten bewegen sich ja selten, jeder Anschlag ist vielleicht ein Wunder. Das Haus, das Papa gebaut hat, steht noch da. Der Notizblock mit seinen Gedichten ist verbrannt. Besser als so kann ich nicht erklären, dass das Wunder möglich ist.«
Die Geschichte in aller Kürze ist ja einfach. Es sind die späteren Wahrheiten, die sie entstellt haben.
Er hatte den Jungen 1963 einmal getroffen, später war der Junge geisteskrank geworden, hatte aber fleißig Bücher über Glauben und Wunder gelesen und in der Nervenheilanstalt eine Katze zugeteilt bekommen.
Von Lisbeth übrigens. Ihm wurde der Name Siklund zugeteilt. Warum, kann man sich fragen, aber es war wohl ein Zugeständnis an die Wahrheit. Er hieß ja Siklund. Im übrigen hatte der Junge beinahe alle Züge von ihm selbst, er war zum Beispiel rank, er schrieb, er las die Bibel, er glaubte an das Wunder der Auferstehung, er stellte es nie in Frage. Er bezeichnete sich den halbtoten Freunden gegenüber als selbsterlöst, um sich nicht schämen zu müssen.
Es musste doch möglich sein, einmal von diesen Vorstellungen frei zu werden: Dass er selbst der Junge war, der sich das Leben nahm, dass es trotz allem ziemlich schön war und dass die Katze von jemandem getötet worden war, der Eriksson hieß. Und dennoch zurückkam, und dass die Katze – die Kim hieß, seltsamerweise, wie der Junge in Kiplings verbotenem Buch – reden konnte. Und die Katze hatte dem Jungen vorgeschlagen, dass sie gemeinsam fliehen und Papas Haus aufsuchen sollten.
Aber dann musste man sterben, und dann wiederauferstehen. Weil die Wiederauferstehung möglich war.
Der Junge hatte sich eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, die Katze in seine Armbeuge gelegt und von einem Dasein mit Hoffnung geträumt, mit familiären Wurzeln, die taugten, und einem Vater, dessen Haus gut bekannt und sicher war.
Dass dieses Gefühl von Ruhe tatsächlich die Liebe war . Dass das Dasein war, was es zu sein behauptete. Hauptsächlich friedlich und ohne Schuld, ohne die eigene Schuld – dass dies das Wunder war.
Dies waren die Jahre in Paris nicht , sondern stattdessen eine Flucht vor der Witterung von Kindheit und Stille und der sicheren Rückkehr. All dem, was hätte sein sollen, aber nicht war.
Einfach nur schreiben zu können, wie es sein sollte.
Aber dann war es nur, wie es war.
Er hatte Siklund um eine Erklärung gebeten, aber dieser hatte gesagt, es gebe nichts zu erklären. Es war nur ein Gleichnis von Sicherheit, dem Riesenmuskel der Liebe und dem Tod gewesen.
Dann hatte er sich viele Jahre vorgestellt, dass der Junge recht gehabt habe, dass Gott eine rote Katze war, die ihm weder eine Schuld gab noch ihm vorwarf, sein Pfund zu vergeuden, dass dies, sein
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