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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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hatte vermutlich die charakteristische Lebensbejahung aufgewiesen, die das Endziel des Projekts in Albert Schweitzers Geist war; es war der 22. November 1977 , und da, plötzlich.
    Da war Eriksson ihm entgegengekommen.
    Und Eriksson hatte Kim gepackt und war zur Mauer gestürzt, die hoch war, aber nicht hoch genug. Und dann hatte Eriksson gleichsam mit einem Riesenschwung Kim ausgeeimert, ja mit einem Riesenschwung Kim ausgeeimert über die Mauer. Und man konnte einen Schrei hören, wie von einer Katze in Todesgefahr. Es war jetzt fast dunkel, und Siklund hatte, mehreren Zeugen zufolge, verzweifelt versucht, über die Mauer zu klettern, um seinen Begleiter zu retten, und auf eine beinahe groteske Weise mit den Händen an der Zementmauer gekratzt, die sich jedoch nicht besiegen ließ; und Siklund hatte so laut gebrüllt, dass sehr rasch Hilfe zur Stelle gewesen war und ihn festgehalten hatte, vier Mann, die Eriksson vor dem tobenden Siklund gerettet hatten.
    Zwei Tage lang war die Katze verschwunden. Siklund hatte in dieser Zeit die Einrichtung in seiner Zelle, oder seinem Zimmer, demoliert. Es war einen Tag später, als er Erikssons Bauch mit einer Schere aufschnitt und als die Katze von einem Fuchs getötet wurde und wiederauferstand.
    Das war Siklunds Geschichte in Kürze. Sie war ein Versuch, die Bedingungen der Liebe zu beschreiben, sowie vielleicht die der Wiederauferstehung; es war im Herbst 1977. Desperat hatte er zehn Jahre später, festklebend wie an einem Fliegenfänger im Alkoholsumpf in Paris, versucht, den Notruf aufzuzeichnen, aber wer hört auf ein Brüllen, das zwischen bebenden Mundlippen hervorgepresst wird, im übrigen hatte er bemerkt, dass seine Unterlippe begonnen hatte, der von Tante Elsa zu gleichen, als sie neunzig wurde, sie bebte, und war das nicht ein Beweis dafür, dass alles festgelegt war? Aber wie? Aber wie? Und niemand hört in unseren Zeiten auf ein stummes Brüllen.
    *
    Im Jahr 1974 versuchte er, Kontakt zu der Frau vom Larssonhof aufzunehmen. Es ging nicht. Der Telefonanschluss existierte nicht mehr. Ein Mitglied ihres Namens im Kirchenvorstand gab es nicht. Sie wohnte nicht mehr in Södertälje.
    Er flieht 1978 nach Kopenhagen.
    Die Witterung verschwunden. Immer rätselhaftere Fragmente zusammenzusetzen. Er hat geheiratet, sich scheiden lassen, wieder geheiratet. Er trinkt immer mehr.
    Auch das ist unerklärlich.
    Er deutete dies mit der Liebe und dem Tod jetzt so: Liebe und Tod sind etwas Unsagbares, aber es kann gezeigt werden.
    Vielleicht von ihm?
    Er kämpft, während er die Lösung sucht – es ist jetzt das Jahr 2010 –, um sein Leben zu verlängern.
    Nach zwei schweren Magenblutungen und drei Herzoperationen ist alles stabil, er redet sich ein, dass er jetzt sehr lange leben wird, wenn auch mit Todesangst. Aber wie zu der niedergeschriebenen Zusammenfassung gelangen, die ein für alle Mal die blendend weiße Leere auf den neun herausgerissenen Seiten ersetzen soll?
    Da zeichnet sich eine rationale Lösung ab. Mit jedem Jahr, das er sich selbst überlebt, wächst das statistische Durchschnittsalter in seiner Altersgruppe. Er kann, gleich dem fruchtlosen Kampf des Hasen gegen die Schildkröte, die vor ihm gestartet ist, den Abstand, also die Zeit bis zu seinem eigenen Todesfall, nur halbieren. Er ist also statistisch gesehen unsterblich. Dies schreibt er nieder, keineswegs scherzhaft und ohne ein Lächeln oder möglicherweise mit einem erlöschenden Lächeln.
    Den Schlüssel gibt es in keinem Notizblock. Den Schlüssel gibt es vielleicht bei der Frau vom Larssonhof? Und sie wollte nichts von ihm wissen. Ins Arbeitsbuch hineingesteckt jedoch eine Ansichtskarte mit Poststempel 4.1.1976, und Uppsala. Zum ersten Mal in tausend Jahren!
    »Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr, mit Hilfe des Riesenmuskels der Vorstellungskraft.«
    Kein Name. Er konnte sich an ihren Körper erinnern, an das Geräusch der Fliegen am Fenster, ihr Haar, und wie sie die Augen geschlossen hatte. Ein tausendjähriges Schweigen.
    Sollte diese Verfolgung nie ein Ende nehmen?
    *
    Das erste Fragment des Arbeitsbuchs ist aus der Mitte der achtziger Jahre, er schreibt noch in Ich-Form, offenbar nicht so panisch wie später.
    Jetzt beginnt er mit seinem Gleichnisbuch, vermutlich im Herbst 1986, in Paris.
    Oft sind es kleine Scherze, die rasch in etwas Nachtschwarzes übergehen (»Das Gleichnis von Esel Ia und dem leeren Honigtopf«). Man merkt jedoch, dass er die Witterung von etwas (er nennt es »der Junge«)

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