Das Buch Der Hundert Vergnügungen
Starren aus dem Fenster von einer traurigen in eine positive Erfahrung zu verwandeln.
TH
DER MORGENMANTEL
Es gibt keine geeignetere Uniform für die Faulheit als den Morgenmantel. Allein einen zu besitzen ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Ein Zeichen absichtsvoller Bummelei. Morgenmäntel gehen mit dem Zustand des Nichtstuns einher, aber was tun Sie eigentlich, wenn Sie nichts tun? Denken natürlich – das tun Sie. Die Gesellschaft fürchtet jene Bevölkerungsschicht, die Zeit zum Denken hat.
Denn diese Bevölkerungsschichten sind berühmt dafür, die Dinge verändert zu haben. Aus diesem Grund ist der Morgenmantel die wahre Uniform der Revolution. Irgendwann in der fernen Zukunft werden Männer und Frauen mit Staunen des Tages gedenken, an dem die Throne der Macht weltweit ins Wanken gerieten und gestürzt wurden – von einer Armee von Menschen in Morgenmänteln.
DK
HERBSTLICHES NIESEN
Ein gelegentliches Niesen hat etwas Unschlagbares, insbesondere wenn das Niesen Sie von dem köstlichen Kribbeln in den Nasengängen befreit, das die Strahlen einer niedrig stehenden Herbstsonne hervorrufen. Die besten Nieser sind geräuschvoll und unwiderstehlich wie ein schallendes Gelächter der Nase; man sollte sich ihnen mit völliger Hemmungslosigkeit hingeben. Legen Sie Ihren Kopf in den Nacken, japsen Sie kurz davor ein paarmal nach Luft, um Druck aufzubauen, stehen Sie auf, schauen Sie in den Himmel oder, falls Sie sich in einem geschlossenen Raum befinden, umkreisen Sie einen Leuchtkörper, als wollten Sie eine darin verborgene Wahrheit ergründen. Achten Sie darauf, die feinen Härchen in Ihrer Nase, die bereits erwartungsvoll vibrieren, nicht zu blockieren, heben Sie einen Arm in die Höhe und legen Sie sich mit Ihrem ganzen Körper ins Zeug wie ein Bowler. Niesen Sie laut und mit voller Wucht und aus ganzem Herzen, als würden Sie lachen. Bitten Sie wegen des Geprustes um Entschuldigung und warten Sie darauf, dass man Ihnen »Gesundheit!« wünscht. Halten Sie ein Niesen nie zurück, unterdrücken Sie nicht das laute Juchzen Ihrer unwillkürlichen Reflexe – sie sind es, was Sie menschlich macht.
IV
MIT DEM POSTBOTEN PLAUDERN
Hüten Sie sich vor dem World Wide Web, ja meiden Sie das heimtückische Internet. Weshalb sollten Sie sich von geldgierigen Zynikern auf den Websites der sozialen Netzwerke mit Werbung zuschütten lassen, wenn Sie jeden Tag kostenlos mit dem Postboten plaudern können? Oder meinetwegen mit dem Gemüsehändler oder dem Metzger. Die Kommerzialisierung des menschlichen Miteinanders ist eines der schlimmsten Verbrechen des digitalen Zeitalters. Wir brauchen keine Internetportale, die dazu angelegt sind, uns etwas zu verkaufen, um mit anderen Menschen zu sprechen. Denken Sie nur an diese fantastische Erfindung, von der ich neulich hörte: Sie können damit, wann immer Sie wollen, mit jemandem AM ANDEREN ENDE DER WELT sprechen, ohne dass sich pausenlos Markennamen in Ihre Unterhaltung drängeln! Man nennt sie »schreiben«.
TH
DIE NAMEN DER BÄUME LERNEN
Heutzutage scheinen wir ganz und gar glücklich damit, unser Gehirn mit Neuigkeiten aus dem Liebesleben durchschnittlicher Prominenter vollzustopfen, mit den dürftigen Handlungssträngen drittrangiger Fernsehserien oder den neuesten Launen aus der Welt der Mode, die uns von einer erlesenen Schar von Leuten mitgeteilt werden, die selbst dafür berühmt sind, absolut lächerlich auszusehen. All diese nutzlosen Informationen verdrängen das Wissen über die wirkliche Welt um uns herum, das seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Nehmen Sie ein bescheidenes Beispiel: den Baum. Ich wette, dass Sie imstande sind, mehr Exfreunde von Kylie Minogue aufzuzählen oder Filme, in denen Johnny Depp mitspielt, als einheimische Bäume. Wie viele verschiedene Bäume kennen Sie? Seien Sie ehrlich: vier, fünf? Sagen wir die Eiche, die Stechpalme, die Kiefer, die Weide und die Birke. Aber was ist mit der Erle, der Esche, der Eibe, der Wildkirsche, der Bergulme, der Englischen Ulme, dem Weißdorn, dem Haselstrauch, dem Wacholder, der Hainbuche, dem Ahorn, der Espe, der Pappel, der Eberesche, dem Speierling, der Robinie oder der gerade neu entdeckten Elsbeere? Außerdem gibt es die Rotfichte, die Steineiche, die Platane, die Edelkastanie, die Japanische Lärche und so weiter und so fort. Erobern Sie sich Ihr Gehirn zurück und lernen Sie die Namen der Bäume.
DK
EINEN BRIEF SCHREIBEN
An einem Schreibtisch ohne Computer zu
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