Das Buch Der Hundert Vergnügungen
Zunächst einmal bietet es eine höchst willkommene Pause von der Arbeit und die Gelegenheit, drei Tage im Bett zu verbringen. Und im Bett können Sie tun, was Sie wollen: Obst essen und wunderbar duftenden Kräutertee trinken, Sherlock Holmes und Evelyn Waugh lesen, sich ins Land der Träume treiben lassen, das Reich, das zwischen Wachen und Schlafen liegt. Und gerade weil Ihnen jeglicher Elan fehlt, können Sie sich von der Anspannung und dem Stress der Arbeitswelt lösen, die Ihrem Körper die Infektion eingebrockt hat. Geben Sie den entspannten Teilen Ihrer Seele Gelegenheit, sich zu erholen, während Sie dumpf das Nachmittagsprogramm im Fernsehen verfolgen oder in die frei wirbelnden Strudel Ihres fiebrigen Unterbewusstseins eintauchen.
TH
IN DEN KLEIDERN SCHLAFEN
Nach einem anstrengenden Tag liegen Sie auf der Couch vor dem plärrenden Fernsehapparat und werden allmählich vom Schlaf übermannt. Ihr Gehirn ist gerade noch wach genug, um Ihnen mitzuteilen, dass nun der Punkt gekommen sei, an dem Sie unbedingt aufstehen, sich die Zähne putzen, das Gesicht waschen, sich ausziehen und ins Bett kuscheln sollten. Wenn Sie jetzt allerdings tatsächlich aufstehen, sich die Zähne putzen, das Gesicht waschen und sich ausziehen, dann werden Sie, wenn Sie endlich so weit sind, sich ins Bett zu kuscheln, wieder hellwach sein, und der köstliche Zauber ist gebrochen. Geben Sie sich stattdessen unbeschwert dem Gefühl hin, dass der Schlaf Sie zu umfangen beginnt. Der Reiz, einzunicken und ein paar Minuten später wieder aufzuwachen, ist wie eine sanfte Fahrt mit der Achterbahn – aber ohne das Spektakel im Vergnügungspark. Rühren Sie sich nicht, verlieren Sie sich in irgendwelchen Gedanken und genießen Sie es, in Ihren Kleidern zu schlafen. Lassen Sie das Fernsehen vor sich hin quasseln und schwelgen Sie in dem Gefühl, dass der Schlummer Ihnen auf den Fersen ist. Wenn Sie dann irgendwann in den frühen Morgenstunden mit einem leichten Frösteln aufwachen, können Sie in Ihr Schlafzimmer schlafwandeln, ehe Ihre Bettdecke Sie ganz verschlingt.
AUF DEM KLO SITZEN
Das Klo ist die Einsiedlerklause des Menschen in seinem häuslichen Reich. Unbedrängt vom Trubel der Arbeit oder der Familie kann er dort für eine kleine Weile allein sein und über sein Dasein reflektieren. Es ist auch ein schöpferischer Ort. So hat der chinesische Philosoph Ouyang Xiu mit den drei »Aufs« beschrieben, wo er am besten nachdenken konnte: »Auf dem Kopfkissen, auf dem Rücken eines Pferdes und auf der Toilette«. Wir ziehen uns auf das Klo zurück, um einen Raum zum Denken zu haben, zur Meditation und zur Kontemplation.
TH
GROTTEN
In einer Baumgruppe am See fällt Ihnen ein Felsbrocken auf, der irgendwie seltsam deplatziert wirkt. Sie verlassen den Fußweg und gehen darauf zu, während Sie überlegen, was dieser komische Haufen von Steinen da zu suchen hat. Aha! Auf der Hinterseite finden Sie eine Öffnung, gerade groß genug, um sich durchzuschlängeln und dabei einen Riss in Ihren Kleidern zu riskieren. Sobald Sie sich hindurchgequetscht haben und im Innern befinden, kneifen Sie die Augen zusammen und hören ein stetes »tropf, tropf, tropf, tropf«. Seit langem schon hat sich Moos auf den Wänden des alten Kühlhauses festgesetzt, das aus Steinen und uralten Muscheln errichtet ist. Zu Ihren Füßen führen provisorisch in den Boden gehauene Stufen in die Tiefe. Farne lugen hier und da durch die Ritzen, aber sonst ist diese Raum-Zeit-Maschine in der Natur unversehrt und bietet Ihnen einen Unterschlupf vor den Übeln der Welt. Sie kriechen wieder hinaus und grinsen dabei, ehe Sie sich fragen, ob das Ding wohl noch da sein wird, wenn Sie wiederkommen – denn eine Grotte sollte man nicht für sich allein behalten.
DK
UM DIE WETTE GRIMASSEN SCHNEIDEN
Grimassen schneiden ist ein alter Begriff aus der Welt des Theaters, und viel ausdrucksvoller als »das Gesicht verziehen« ist er außerdem. Jeder Mitspieler muss eine Grimasse schneiden, die so grässlich ist wie möglich. Halten Sie, wenn Sie wollen, das Ganze mit einer Polaroid- oder Digitalkamera fest. Gewinner ist, wem die furchtbarste oder komischste Fratze gelingt. Sehen Sie sich eine alte Kathedrale an, wenn Sie Anregungen brauchen.
TH
BRIEFE NICHT ÖFFNEN
Wenn ein von Hand beschriebener Umschlag auf Ihrem Läufer landet, ist das ein seltenes Vergnügen. Heutzutage scheinen wir nichts als Rechnungen und unerwünschte Reklame (was nur eine andere Bezeichnung dafür ist, dass
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