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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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getaumelt war, hatte das Klingeln aufgehört. Ich hörte das leise Klicken des Faxgeräts, mit dem der Beginn der Übertragung signalisiert wurde, und als ich es endlich in die Küche geschafft hatte, quoll bereits der Anfang des Briefs aus dem Schlitz. 1988 gab es noch keine Faxgeräte für Normalpapier, sondern nur für Rollen -dünnes Pergamentpapier mit einer speziellen elektronischen Beschichtung - , und wenn man ein Fax bekam, sah es aus wie eine Botschaft aus grauer Vergangenheit: wie eine Thora, oder wie eine Nachricht von einem etruskischen Schlachtfeld. Alma hatte mehr als acht Stunden an ihrem Brief geschrieben, sie hatte aufgehört und wieder angefangen, den Kugelschreiber in die Hand genommen und wieder weggelegt, und bei alldem war sie im Lauf der Nacht immer betrunkener geworden: Das Ergebnis waren über zwanzig Seiten Text. Ich stand neben dem Faxgerät, las im Stehen und zog an der Rolle, die sich langsam aus der Maschine schob. Der erste Teil schilderte, was ich soeben zusammengefasst habe: die Verbrennung von Almas Buch, das Verschwinden des Computers, die Entdeckung von Friedas Leiche im Wohnzimmer. Der letzte Teil endete mit folgenden Absätzen:
    Ich kann nicht mehr. Ich bin nicht stark genug, so etwas mit mir herumzutragen. Ich versuche ja, es mit den Armen zu umschließen, aber es ist zu groß für mich, David, es ist zu schwer, ich kann es nicht einmal vom Boden heben.
    Und deshalb werde ich dich heute Nacht nicht anrufen. Du würdest mir sagen, dass es ein Unfall war, dass ich nicht schuld daran bin, und am Ende würde ich anfangen, dir zu glauben. Ich würde dir glauben wollen, aber die Wahrheit ist, dass ich sie zu heftig gestoßen habe, viel heftiger als nötig, um eine achtzigjährige Frau zur Seite zu stoßen. Ich habe sie getötet. Was sie mir angetan hat, spielt keine Rolle. Ich habe sie getötet, und wenn ich mir das jetzt von dir ausreden lassen würde, stünde es später dennoch immer zwischen uns. Es führt kein Weg daran vorbei. Um mich aufzuhalten, müsste ich die Wahrheit verleugnen, und wenn ich das täte, würde alles Gute in mir absterben. Ich muss handeln, versteh mich, und zwar jetzt, solange ich noch den Mut dazu habe. Gott sei Dank gibt es den Alkohol. Guinness verleiht dir Kraft, wie ich in London auf Plakaten gelesen habe. Tequila verleiht dir Mut.
    Man fängt irgendwo an, und egal wie weit man sich von dieser Stelle entfernt zu haben glaubt, am Ende landet man doch nur wieder dort. Ich habe gedacht, du könntest mich retten, ich könnte mich dir schenken, dir gehören, aber ich habe niemals jemandem gehört außer ihnen. Ich danke dir für den Traum, David. Die hässliche Alma hat einen Mann gefunden, und der hat ihr das Gefühl gegeben, schön zu sein. Wenn du das für mich tun konntest, überleg dir nur, was du für ein Mädchen tun könntest, das nur ein einziges Gesicht hat.
    Sei froh. Es ist gut, dass es endet, bevor du herausfindest, wer ich wirklich bin. Ich bin an diesem ersten Abend mit einer Waffe in dein Haus gekommen. Vergiss niemals, was das bedeutet. Nur eine Verrückte ist zu so etwas imstande, und Verrückten kann man nicht trauen. Sie schleichen sich in das Leben anderer Menschen ein, sie schreiben Bücher über Dinge, die sie nichts angehen, sie kaufen Tabletten. Gott sei Dank gibt es Tabletten. War es wirklich ein Zufall, dass du sie hier vergessen hast? Sie lagen die ganze Zeit, als du hier warst, in meiner Handtasche. Ich habe immer daran gedacht, sie dir zu geben, und immer wieder habe ich es vergessen - bis zu dem Augenblick, als du in den Wagen gestiegen bist. Tadle mich nicht. Denn jetzt habe ich sie nötiger als du. Meine fünfundzwanzig kleinen roten Freunde. Xanax, die stärkste Sorte, die eine Nacht ungestörten Schlafs garantiert.
    Verzeih mir. Verzeih mir. Verzeih mir. Verzeih mir.
    Als ich zu Ende gelesen hatte, versuchte ich sie anzurufen, aber sie ging nicht ran. Diesmal kam ich zwar durch -ich konnte das Telefon am anderen Ende der Leitung klingeln hören -, aber Alma nahm den Hörer nicht ab. Ich ließ es vierzig-, fünfzigmal klingeln, hoffte hartnäckig, das Geräusch könnte sie aus ihrer Konzentration reißen, sie dazu bringen, an etwas anderes zu denken als die Tabletten. Hätte es etwas geändert, wenn es noch fünfmal mehr geklingelt hätte? Zehnmal mehr, und sie hätte von ihrem Vorhaben abgelassen? Schließlich legte ich auf, nahm ein Stück Papier und schickte ihr ein Fax. Bitte sprich mit mir , schrieb ich. Bitte, Alma,

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