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Das Buch der Illusionen

Das Buch der Illusionen

Titel: Das Buch der Illusionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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drohte, sah ich im Fernsehen zufällig einen Ausschnitt aus einem seiner alten Filme und musste lachen. Das mag nicht wichtig klingen, aber es war seit Juni das erste Mal, dass ich über irgendetwas gelacht hatte, und als meine Brustmuskeln so unerwartet in zuckende Bewegung gerieten und meinen Lungen dieses Rasseln auspressten, begriff ich, dass ich noch nicht ganz am Boden lag, dass in mir noch etwas war, das weiterleben wollte. Insgesamt konnte das höchstens ein paar Sekunden gedauert haben. Es war ein ganz normales Lachen, weder sonderlich laut noch anhaltend, aber es kam völlig überraschend, und die Tatsache, dass ich es nicht zu unterdrücken versuchte und mich auch nicht schämte, weil ich in den wenigen Augenblicken, die Hector Mann auf dem Bildschirm zu sehen war, meine Trauer vergessen hatte, zwang mich zu dem Schluss, dass in mir noch etwas war, von dem ich bis dahin gar nichts geahnt hatte, etwas anderes als nur der schiere Tod. Ich rede nicht von irgendeiner vagen Eingebung oder einer sentimentalen Sehnsucht nach dem, was hätte sein können. Ich hatte eine empirische Entdeckung gemacht, und die besaß das ganze Gewicht eines mathematischen Beweises. Wenn ich noch lachen konnte, bedeutete das, dass ich nicht vollständig abgestumpft war. Es bedeutete, dass ich mich nicht so gründlich vor der Welt abgeschottet hatte, dass nichts mehr zu mir vordringen konnte.
    Es muss kurz nach zehn Uhr gewesen sein. Ich kauerte wie üblich auf dem Sofa, ein Glas Whiskey in der einen Hand, die Fernbedienung in der anderen, und zappte gedankenlos durch die Kanäle. Irgendwann stieß ich auf eine Sendung, die schon eine Weile lief, aber ich kam schnell dahinter, dass es sich um eine Dokumentation über Stummfilmkomiker handelte. All die vertrauten Gesichter tauchten auf - Chaplin, Keaton, Lloyd -, daneben aber auch Szenen aus raren Streifen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, weniger bekannte Gestalten wie John Bunny, Larry Semon, Lupino Lane und Raymond Griffith. Ich verfolgte das komische Geschehen mit einer Art gemessener Reserviertheit, nicht sonderlich aufmerksam, aber hinreichend gefesselt, dass ich nicht auf irgendeinen anderen Sender umschaltete. Hector Mann erschien erst ziemlich spät, und dann auch nur in einem einzigen Ausschnitt, einer zweiminütigen Szene aus Der Kassierer; der Film spielte in einer Bank, und Hector war in der Rolle eines fleißigen Angestellten zu sehen. Ich kann nicht erklären, warum mich das packte, aber wie er da im weißen Tropenanzug und mit schwarzem Oberlippenbärtchen an einem Tisch stand und dicke Geldstapel zählte, das hatte was; er arbeitete mit so rasender Effizienz, mit solch furiosem Tempo und manischer Konzentration, dass ich den Blick nicht von ihm lassen konnte. Eine Etage höher verlegten Arbeiter neue Dielenbretter im Büro des Bankdirektors. Auf der anderen Seite des Raums saß eine hübsche Sekretärin an ihrem Schreibtisch und polierte sich hinter einer großen Schreibmaschine die Fingernägel. Erst sah es so aus, als könnte nichts Hector davon abhalten, seine Arbeit in Rekordzeit abzuschließen. Dann aber begann ganz langsam in dünnen Rinnsalen Sägemehl auf sein Jackett zu rieseln, und wenige Sekunden darauf nahm er endlich auch das Mädchen wahr. Aus einem Element waren plötzlich drei geworden, und von da an sprang die Handlung hin und her im Dreivierteltakt von Arbeit, Eitelkeit und Begierde: dem Bemühen, das Geld zu Ende zu zählen, dem Wunsch, den geliebten Anzug sauber zu halten, und dem Drang, Augenkontakt mit dem Mädchen herzustellen. Dabei zuckte Hector ab und zu konsterniert mit dem Schnurrbart, als kommentierte er das Geschehen mit matten Seufzern oder beiseite gemurmelten Bemerkungen. Das Ganze hatte weniger mit Slapstick und Anarchie zu tun als vielmehr mit Charakter und Tempo; es war eine elegant inszenierte Mixtur von Gegenständen, Körpern und Gedanken. Jedes Mal wenn Hector beim Zählen den Faden verlor, musste er wieder von vorn anfangen, und das beflügelte ihn nur, sein Tempo zu verdoppeln. Jedes Mal wenn er zur Decke hochsah, um festzustellen, wo das Sägemehl herkam, geschah dies den Bruchteil einer Sekunde nachdem die Arbeiter das Loch oben mit einem neuen Brett geschlossen hatten. Jedes Mal wenn er zu dem Mädchen hinüberschielte, blickte sie gerade in die falsche Richtung. Und doch gelang es Hector bei alldem, die Fassung zu bewahren, indem er sich von derlei unbedeutendem Ungemach weder in seiner Entschlossenheit noch in seiner

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