Das Buch der Illusionen
wolle ihn einfach nicht heiraten, das sei alles. Die Ehe sei etwas Endgültiges, und sie wolle ihr Jawort erst geben, wenn ihr der Richtige über den Weg laufe.
Nora war bald wieder die Alte, aber Hectors Verhältnis zu O'Fallon schien in eine neue, beunruhigende Phase eingetreten zu sein. Der Wendepunkt war die Szene im Wohnzimmer gewesen, der lange, abschätzende Blick und das kurze, höhnische Lachen: Seit diesem Abend hatte Hector wieder das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen. Wenn O'Fallon jetzt in den Laden kam, kümmerte er sich weder um die Abwicklung der Geschäfte noch um die Kundschaft. Statt, wenn einmal Hochbetrieb herrschte, mit anzupacken oder an der Kasse auszuhelfen, pflanzte er sich auf einen Stuhl neben der Vitrine mit den Tennisschlägern und Golfhandschuhen, las seelenruhig die Morgenzeitungen und sah nur gelegentlich auf, um mit diesem sarkastischen Lächeln auf der Unterlippe umherzublicken. Es war, als betrachte er seinen Gehilfen als drolliges Schoßhündchen oder Aufziehpuppe. Hector brachte ihm gutes Geld in die Kasse, arbeitete zehn, elf Stunden am Tag, sodass O'Fallon praktisch wie ein Ruheständler leben konnte, doch all diese Anstrengungen schienen ihn nur misstrauischer, überheblicher zu machen. So argwöhnisch Hector das beobachtete, er ließ sich nichts davon anmerken. Auch gut, wenn man für einen übereifrigen Trottel gehalten wird, dachte er; vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn er anfangen würde, dich Muchacho oder Señor zu nennen, und wenn er auftaucht, solltest du immer darauf achten, mit dem Rücken zur Wand zu stehen.
Aber als er dich eines schönen Sonntagmorgens Anfang Mai in seinen Country Club auf eine Partie Golf eingeladen hat, hast du nicht Nein gesagt. Und du hast auch nicht abgelehnt, als er dir im Bluebell Inn ein Mittagessen spendieren wollte, nicht einmal, sondern zweimal in einer einzigen Woche; und beide Male hat er darauf bestanden, dass du das teuerste Gericht auf der Karte nahmst. Solange er dein Geheimnis nicht kannte, solange er nicht argwöhnte, was dich nach Spokane verschlagen hat, hast du den Druck seiner ständigen Wachsamkeit aushaken können. Du hast seine Nähe genau deshalb ertragen, weil sie dir unerträglich war, weil du Mitleid mit dem Wrack hattest, das er geworden ist, weil du jedes Mal wenn du diese zynische Verzweiflung in seiner Stimme hörtest, gewusst hast, du selbst warst daran mitbeteiligt, ihn in diese Verzweiflung zu stürzen.
Ihr zweites Mittagessen im Bluebell Inn fand an einem Mittwoch Ende Mai statt. Wäre Hector auf das, was dort geschehen sollte, vorbereitet gewesen, hätte er wahrscheinlich anders reagiert, aber nach fünfundzwanzig Minuten zusammenhanglosen Geredes traf ihn O'Fallons Frage völlig überraschend. Als Hector am Abend in seine Pension am anderen Ende der Stadt zurückkehrte, schrieb er in sein Tagebuch, das Universum habe für ihn in einem einzigen Augenblick seine Gestalt verändert. Ich habe nichts bemerkt. Ich habe alles missverstanden. Die Erde ist der Himmel, die Sonne ist der Mond, die Flüsse sind Berge. Ich habe die falsche Welt beobachtet. Und dann - die Ereignisse des Nachmittags waren ihm noch frisch in Erinnerung - schrieb er sein Gespräch mit O'Fallon Wort für Wort auf:
Also, Loesser, fragte ihn O'Fallon plötzlich, erzählen Sie mir von Ihren Absichten.
Das verstehe ich jetzt nicht, antwortete Hector. Vor mir liegt ein hübsches Steak, und ich habe die Absicht, es aufzuessen. Zielt Ihre Frage darauf ab?
Sie sind ein schlauer Bursche, Chico. Sie wissen genau, was ich meine.
Ich bitte um Verzeihung, Sir, aber Ihre Frage nach meinen Absichten verwirrt mich. Ich kapiere das nicht.
Langfristige Absichten.
Ah, ja, verstehe. Sie beziehen sich auf die Zukunft, auf meine Pläne für die Zukunft. Ich kann Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass ich ausschließlich die Absicht habe, so weiterzumachen wie bisher. Für Sie zu arbeiten. Mein Bestes für das Geschäft zu geben.
Und sonst?
Sonst nichts, Mr. O'Fallon. Ganz ehrlich. Sie haben mir eine großartige Gelegenheit gegeben, und die gedenke ich zu nutzen.
Und was glauben Sie, wer mich dazu überredet hat, Ihnen diese Gelegenheit zu geben?
Das weiß ich nicht. Ich habe immer gedacht, das sei Ihre Entscheidung gewesen, Sie hätten mir diese Chance gegeben.
Nein, es war Nora.
Miss O'Fallon? Das hat sie mir nie erzählt. Ich hatte keine Ahnung, dass sie dahintersteckt. Ich schulde ihr bereits so viel, und jetzt stehe ich offenbar noch
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