Das Buch der Illusionen
führen und sportliche Betätigung preisen - das waren jetzt seine Aufgaben. Aber niemand sagte, dass er dies mit mürrischer Miene zu tun habe. Er hatte wieder ein Publikum vor sich und jede Menge Requisiten, mit denen er arbeiten konnte, und als er einmal auf den Trichter gekommen war, meldeten sich auch seine alten Schauspielerinstinkte schnell zurück. Er bezauberte die Kunden mit wortreichen Werbesprüchen, begeisterte sie mit Vorführungen im Gebrauch von Fängerhandschuhen und künstlichen Angelfliegen, gewann ihre Herzen mit seiner Bereitschaft, ihnen fünf, zehn oder gar fünfzehn Prozent vom Listenpreis nachzulassen. 1931 saß das Geld nicht locker, aber Sport und Spiel boten eine erschwingliche Abwechslung und halfen vergessen, was man sich alles nicht leisten konnte, und der Laden lief weiterhin recht ordentlich. Jungen spielen Ball, was auch immer um sie herum vorgehen mag, und Männer hören niemals auf, Angeln auszuwerfen und wilden Tieren Kugeln in den Leib zu jagen. Und nicht zu vergessen: Trikots und Uniformen. Nicht nur für die Mannschaften der Highschools und Colleges, sondern auch für die zweihundert Mitglieder der Bowling-Liga des Rotary Clubs, die zehn Teams der Basketball-Vereinigung der Katholischen Wohlfahrt und die drei Dutzend Softball-Amateurvereine. Seit O'Fallon diesen Markt vor anderthalb Jahrzehnten erobert hatte, liefen in jeder Saison die Bestellungen ein, so exakt und regelmäßig wie die Phasen des Mondes.
Als Hector und Nora eines Dienstagabends Mitte April ihren Unterricht beendeten, wandte Nora sich ihm zu und erklärte, sie habe einen Heiratsantrag erhalten. Die Bemerkung kam wie aus dem Nichts, ohne Bezug auf irgendetwas, was davor gesagt worden war, und sekundenlang glaubte Hector, er habe sich womöglich verhört. Eine solche Mitteilung wurde gewöhnlich von einem Lächeln, vielleicht gar einem Lachen begleitet, aber Nora lächelte nicht, und sie schien auch alles andere als erfreut, ihm das sagen zu müssen. Hector fragte nach dem Namen des Glücklichen. Nora schüttelte den Kopf, sah zu Boden und fingerte nervös an ihrem blauen Baumwollkleid herum. Als sie wieder aufblickte, schimmerten Tränen in ihren Augen. Ihre Lippen bewegten sich, doch ehe sie ein Wort herausbekam, stand sie jählings auf, nahm die Hand vor den Mund und stürzte aus dem Wohnzimmer.
Sie war weg, ehe er zur Besinnung kam. Er hatte nicht einmal Zeit, ihr nachzurufen, und als er Nora die Treppe hinauflaufen und die Tür ihres Zimmers zuschlagen hörte, war ihm klar, dass sie an diesem Abend nicht mehr herunterkommen würde. Der Unterricht war vorbei. Ich sollte jetzt gehen, sagte er sich, aber Minuten später hatte er sich noch immer nicht von der Couch erhoben. Und dann tauchte O'Fallon auf. Es war kurz nach neun, und Red war in seinem gewöhnlichen abendlichen Zustand, aber nicht so benebelt, dass er nicht noch das Gleichgewicht halten konnte. Er fixierte Hector und starrte seinen Buchhalter endlos lange an, musterte ihn von oben bis unten, und dabei verzog sich seine Unterlippe ganz langsam zu einem schiefen Lächeln. Hector war sich unschlüssig, ob dieses Lächeln Mitleid oder Spott bedeutete. Es schien beides zu beinhalten, bekundete eine Art von mitfühlender Geringschätzung, falls es so etwas geben konnte, und Hector sah darin ein beunruhigendes Zeichen irgendeiner nagenden Feindseligkeit, die O'Fallon monatelang unterdrückt haben mochte. Schließlich stand Hector auf und fragte: Stimmt es, dass Nora heiratet? Der Boss stieß ein kurzes, sarkastisches Lachen aus. Wie zum Teufel soll ich das wissen?, sagte er. Fragen Sie sie doch selbst! Er schickte seinem Lachen noch ein Knurren hinterher, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Zwei Abende später entschuldigte sich Nora für ihren Ausbruch. Jetzt gehe es ihr wieder besser, sagte sie, die Krise sei überstanden. Sie habe den Bewerber abgelehnt, die Sache sei erledigt. Aus und vorbei, kein Grund mehr zur Sorge. Albert Sweeney sei ein guter Mensch, aber eigentlich noch ein Junge, und sie habe es satt, sich mit Jungen abzugeben, insbesondere mit reichen Jungen, die vom
Geld ihres Vaters lebten. Sollte sie jemals heiraten, dann nur einen Mann, einen richtigen Mann, der sich in der Welt zu bewegen wisse und für sich selbst sorgen könne. Hector sagte, sie könne Sweeney doch nicht vorwerfen, dass er einen reichen Vater habe. Das sei nicht seine Schuld, und überhaupt, was sei denn so schlimm daran, reich zu sein? Nichts, sagte Nora. Sie
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