Das Buch der Lebenskunst
Lebens.“
Das Paradox dieser Ewigkeitserfahrung im Augenblick besteht für mich darin, dass gerade in der sinnlichen Erfahrung dieser Welt in Raum und Zeit die Erfahrung der Ewigkeit anwesend ist. Ewigkeitserleben ist nicht etwas rein Geistiges im Gegensatz zur Materie. Gerade in der Materie wird der Geist erfahren, im Raum das Raumlose, in der Zeit das Zeitlose. Ganz im Augenblick zu sein heißt für mich, ganz in meinen Sinnen zu sein. Wenn ich mich von der Sonne bestrahlen lasse, dann spüre ich sie mit meiner Haut, mit allen meinen Sinnen. Und gerade in solch sinnlicher Erfahrung steht die Zeit still, bricht die Ewigkeit ein.
Das ist wohl das Paradox der Inkarnation, der Fleischwerdung des göttlichen Wortes. Friedrich Nietzsche, der das Christentum attackierte, hat dennoch das Wesen der Inkarnation verstanden, wenn er in seinem Gedicht vom trunkenen Lied sagt:
„Weh spricht: Vergeh! / Doch alle Lust will Ewigkeit -, / will tiefe, tiefe Ewigkeit!“
Ewigkeit ist hier nicht verstanden als lange Dauer, dass die Lust nicht aufhören sollte. Die Lust kann gar nicht eine lange Zeit hindurch erfahren werden. Ewigkeit ist hier vielmehr der Augenblick, der ganz tief erlebt wird, in dem ich ganz in dem bin, was ich tue, was ich fühle, was ich bin. Lust ist Aufhebung der Zeit und Erahnen der Ewigkeit.
GIPFELERFAHRUNG
Ein Aspekt eines Gipfelerlebnisses ist, dass wir ganz allein sind. David Steindl-Rast deutet dieses Wort allein als all-eins, mit allem eins sein und mit sich ganz eins sein. Das war eine wichtige Erfahrung im frühen Mönchtum. Dionysius Areopagita leitet das Wort Mönch (monachos) von monas ab, von der Einheit. Der Mönch ist der, der ganz eins ist, der mit sich selbst eins ist, aber zugleich mit allen und allem. Evagrius Ponticus, der griechische Mönch aus dem 4. Jahrhundert, schreibt in einem Text über das Gebet: „Ein Mönch ist ein Mensch, der sich von allem getrennt hat und sich doch mit allem verbunden fühlt. Ein Mönch weiß sich eins mit allen Menschen, denn immerzu findet er sich in jedem Menschen.“ Er fühlt sich mit dem ganzen Kosmos eins.
Vom heiligen Benedikt wird berichtet, dass er in einem einzigen Sonnenstrahl die ganze Welt erblickt hat. Das ist ein typisches Merkmal von Kontemplation. Ich werde mit der ganzen Welt eins. Es bedeutet nicht, dass ich alles der Reihe nach anschauen kann, sondern alles ist auf einmal da. Ich schaue in den Urgrund, in dem alles miteinander verbunden ist, in dem alles eins ist. In diesem Urgrund bin ich eins mit der Schöpfung, eins mit Gott, eins mit Raum und Zeit. Raum und Zeit hören in dieser kontemplativen Erfahrung auf zu existieren. Da berühre ich die Ewigkeit, da bricht die Ewigkeit ein in mein Leben.
INMITTEN DER ZEIT
Vom Verhältnis der Zeit zur Ewigkeit schreibt Angelius Silesius, der Dichter des „Cherubinischen Wandersmann“, den berühmten Vers:
„Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, So du nur selber nicht machst einen Unterscheid. Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verla sse Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.“
Es sind mutige Verse, paradoxe Verse. Aber diese Erfahrung ist nicht mehr zu erklären, auch wenn die Mystiker immer wieder versucht haben, das Geheimnis der Ewigkeit mitten in der Zeit zu beschreiben. Für sie ist die Kontemplation, die Anbetung, das Gebet überhaupt, der Ort, an dem der Mensch die Zeit überwinden kann.
In den Versen des Angelus Silesius klingt die Erfahrung von Meister Eckhart an, der sich immer wieder mit dem Geheimnis von Zeit und Ewigkeit auseinandergesetzt hat. Ihm geht es um die Erfahrung von Ewigkeit inmitten dieser Zeit. Für Meister Eckhart hängt alle Seligkeit daran, „dass der Mensch durchschreite und hinausschreite über alle Geschaffenheit und alle Zeitlichkeit und alles Sein und eingehe in den Grund, der grundlos ist“. Im Einswerden mit Gott überschreitet der Mensch die Zeit, da hat er teil an der Ewigkeit. Eckhart geht davon aus, dass Gott jenseits der Zeit ist. Und insofern ist die Erfahrung Gottes immer auch eine Erfahrung des Zeitjenseitigen, des Ewigen. Wenn ich in der Kontemplation mit Gott eins werde, dann hört in diesem Augenblick die Zeit auf. Es gibt kein Vorher und Nachher. Es gibt nur reine Gegenwart. In so einem Augenblick können wir oft nicht sagen, wie lange er dauert. Die Alten sprechen hier von Erleuchtung, die Buddhisten nennen es satori. Auf einmal blitzt in uns etwas auf. Wenn wir das innere Licht in uns sehen, dann kann es
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