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Das Buch der Lebenskunst

Das Buch der Lebenskunst

Titel: Das Buch der Lebenskunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Liebe ausstreckt. Das innere Gebet beschränkt sich aber nicht auf die Zeit der Meditation oder des Stundengebetes. Vielmehr soll der Mönch in jedem Augenblick achtsam leben, ganz in dem sein, was er gerade tut. Wenn er ganz im Augenblick ist, sich ganz auf das einlässt, was gerade ist, dann bricht in seine Zeit immer wieder die Ewigkeit ein.

    EIN GEHEIMNIS
    Der Mensch ist in der Zeit und die Zeit ist in ihm. Aber die Zeit ist mehr als der Mensch. Der Mensch muss der Zeit weichen. Daher sehnt er sich danach, dass Gott ihn aus dieser Zeit in seine Zeit, in seine Ewigkeit, nehme. Dort ist der Mensch der Zeit enthoben. Dort hat die Zeit keine Macht über ihn. Für Augustinus ist die Zeit ein Geheimnis.
    Jeder weiß, was Zeit ist. Aber wenn wir genauer nachdenken, so zerrinnt uns die Zeit zwischen den Fingern. So fragt Augustinus in den Bekenntnissen: „Was also ist die Zeit? Solange mich niemand danach fragt, ist mir’s, als wüsste ich’s; doch fragt man mich und soll ich es erklären, so weiß ich's nicht.“ Er weiß, was Vergangenheit und Zukunft ist. Aber die Gegenwart lässt sich nicht festhalten. Sie geht fortwährend in Vergangenes über. Zeit ist für Augustinus nicht so sehr eine objektive Tatsache, sondern etwas Subjektives. Die Zeit wirkt im Innersten des Menschen. Die Gegenwart ist „eigentlich eine seelische Erfahrung, die Vergangenheit ein Erinnerungsbild in der Seele, und die Zukunft lebt nur in unseren seelischen Erwartungen. Die gewöhnliche Zeit dagegen ist sinnlos und vergänglich, sie verschwindet, wenn die Seele mit Gott eins wird.“ So charakterisiert die Psychologin Marie Luise von Franz das Zeitverständnis des heiligen Augustinus. Die Zeit ist eine seelische Erfahrung. Augustinus selbst drückt es in seinen Bekenntnissen so aus:
    „Es gibt drei Zeiten, die Gegenwart des Vergangenen, die Gegenwart des Gegenwärtigen und die Gegenwart der Zukunft. In der Seele nämlich sind diese drei; anderswo sehe ich sie nirgends. Die Gegenwart des Vergangenen ist Gedächtnis, die Gegenwart des Gegenwärtigen die Anschauung, die Gegenwart des Künftigen ist die Erwartung.“ Die Seele erfährt die Zeit. Die Seele kann aber auch die Zeit überschreiten, wenn sie mit Gott eins wird, der jenseits der Zeit ist. Gott wohnt nach Augustinus im Innersten des Menschen, er ist uns innerlicher, als wir uns selbst sind. In diesem Innersten gibt es keine Zeit, da ist reine Gegenwart, da lässt uns Gott zu unserem wahren Selbst kommen.

    RUHIG IN DIR SELBER
    Von Augustinus stammt der Satz: „Sei still und verstehe, denn du verwirrst dich, und innen in deinem Gemach verdüsterst du das Licht.
    Strahlen will dir der ewige Gott, mach dir nicht ein Genebel aus Wirrnis; sei ruhig in dir.“
    Stille kommt von „stehen bleiben“. Wer still sein will, muss stehen bleiben. Er muss innehalten, anstatt weiterzueilen. Stehen bleiben ist für Augustinus die Voraussetzung, sich selbst zu verstehen, den Nächsten und das Geheimnis der Welt zu verstehen. Verstehen hat mit Stehen zu tun. Im Vorübereilen verstehe ich nichts, weder die Worte der Menschen noch das Herz derer, an denen ich vorbeilaufe. Wer immer weitereilt, der wird innerlich verwirrt, dessen Herz verdüstert sich. Stehen bleiben, still werden, ist die Voraussetzung, dass sich das Trübe in uns klärt, dass der Nebel sich auflöst und wir klar erkennen, was ist. Und erst wenn das Innere klar wird, finden wir Ruhe in uns selbst, können wir es bei uns selbst aushaken. Augustinus fordert uns nicht auf, Ruhe zu geben und nach außen hin ruhig zu sein. Er sagt: „Sei ruhig in dir.“ In sich ruhen, in seiner Mitte ruhen, das ist die Voraussetzung auch für die äußere Ruhe.

    MIT ALLEN SINNEN
    Kontemplation ist die absolute Bejahung des Seins. Das Paradox ist aber, dass ich diese Sinnhaftigkeit gerade an einem konkreten Ding erfahre, etwa wenn ich mich in die Blume hineinmeditiere oder wenn ich vom Abendrot überwältigt werde. Alles ist voll von Sinn. Der spirituelle Schriftsteller und Benediktinermönch David Steindl-Rast drückt das aus in dem Wort: Das ist es, wobei ich jedes dieser Worte betonen kann. Das ist es, in diesem Stein ist alles versammelt, da ist Gott und die Welt in eins, da ist Zeit und Ewigkeit eins. Das ist es. Da ist reines Sein. Das Sein ist jenseits der Zeit. Sein ist Ewigkeit, so wie sie Boethius in seiner berühmten Definition beschreibt: „Ewigkeit ist der vollkommene, in einem einzigen, alles umfassenden Jetzt gegebene Besitz grenzenlosen

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