Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Lebenskunst

Das Buch der Lebenskunst

Titel: Das Buch der Lebenskunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
Vom Netzwerk:
Dämonen“.

    GANZ GEGENWÄRTIG
    „Ewigkeit ist, wenn es nicht mehr an Gegenwart fehlt.“ (Boethius) Ewigkeit ist keine lange Zeit, die nie ein Ende findet. Ewigkeit ist erfüllte Zeit. Ewigkeit bricht in unsere Zeit ein, wenn wir ganz im Augenblick sind oder, wie der frühchristliche Philosoph Boethius sagt, wenn es nicht mehr an Gegenwart fehlt, wenn reine Gegenwart ist, reine Präsenz. Jeder von uns kennt solche Augenblicke, in denen man ganz gegenwärtig ist. In ihnen steht die Zeit still. Da ahnen wir, was Ewigkeit ist, da schmecken wir die Ewigkeit.
    Wie kann es mir an Gegenwart mangeln? Die Gegenwart ist doch einfach da. Ja, sie ist da. Aber wenn ich nicht in der Gegenwart bin, dann fehlt sie mir. Gegenwart ist Anwesenheit. Wenn ich nicht anwesend bin, ist auch der Augenblick nicht anwesend. Denn der Augenblick bekommt durch mich sein Sein, seine Präsenz. Ewigkeit ist daher auch, wenn ich ganz anwesend bin, wenn ich ganz bin, wenn ich teilhabe am reinen Sein. Gott ist das reine Sein. Wahre Gegenwart ist nur in Gott.
    Gott ist stets gegenwärtig. Und wenn ich gegenwärtig bin, ist Gott in mir und ich in Gott.

    DER AUGENBLICK IST EIN GEHEIMNIS
    Die Zeit der Mönche ist strukturiert und rhythmisiert. Ein Mediziner hat den Tagesplan der Mönche mit dem Biorhythmus verglichen und festgestellt, dass er damit übereinstimmt. Der Religionswissenschaftler Ernst Benz meint sogar, dass der Zeitrhythmus der Mönche auch zu unserem modernen Zeitverständnis geführt hat, bei dem es um Pünktlichkeit und Ausnutzen der Zeit geht. Die Mönche haben die Mahnung des heiligen Paulus befolgt: „Kaufet die Zeit aus!“ (Eph 5,16; Kol 4,5)
    Die Zeit ist in der Tat ein kostbares Gut, mit dem man sorgfältig umgehen muss. Und die Zeit ist kurz. Die frühen Christen erwarten das Kommen Christi. Daher ist für sie die Zeit immer gedrängte Zeit.
    Christus wird plötzlich kommen und in Kürze. Daher sollen wir wachsam sein. Wir sollen vom Schlaf aufstehen, aufgeweckt auf die Stimme Gottes horchen.
    Die meditatio mortis - also die Übung, sich bewusst das eigene Sterben vor Augen zu halten - soll helfen, uns über die kostbare Zeit klar zu werden und jeden Augenblick bewusst zu leben. Denn er könnte der letzte sein. Sich täglich den Tod vor Augen zu halten, wie es der heilige Bene-dikt seine Mönche lehrt, hat dazu geführt, dass sie jeden Augenblick als heilige Zeit verstanden haben. Sie haben dem Geheimnis der Zeit nachgespürt: Was heißt es, dass ich bin, dass ich jetzt atme und mich spüre?
    So hat das Bedenken des Todes dazu geführt, ganz bewusst im Augenblick zu leben und um die Endlichkeit der Zeit zu wissen, die uns gegeben ist. Für die Mönche geht es darum, in dieser endlichen Zeit die Ewigkeit durchbrechen zu lassen, in jedem Augenblick eine Spur der göttlichen Liebe in dieser Welt zu hinterlassen.

    WAS SICH DER ZEIT ENTZIEHT
    Das ist für die Mönche das Geheimnis der Kontemplation: das Wort so zu hören, dass das Unhörbare darin anklingt, das Wort so zu meditieren, dass alle Worte verstummen, dass reines Schweigen den Menschen erfüllt, in der Zeit sich auf das Wort Gottes so einzulassen, dass die Zeit still steht und aufhört.
    Für mich hat das Friedrich Hölderlin, der rätselhafte Dichter, der tief in das Geheimnis Gottes und in das Geheimnis des Menschen geschaut hat, in unübertrefflicher Weise ausgedrückt. Er hat in seinen Gedichten versucht, das, was sich der Zeit entzieht, im Wort anwesend sein zu lassen.
    Das Wort führt uns in den Bereich Gottes, der jenseits aller Bilder und Worte und auch jenseits aller Zeit ist. In seinem Gedicht „Mnemosyne“
    will der Dichter Anwalt des Göttlichen in dieser Welt, des Ewigen in dieser Zeit sein. Er fasst die Erfahrung des Zeitjenseitigen in der Zeit in den rätselhaften Worten zusammen:
    „Lang ist / Die Zeit. Es ereignet sich aber / Das Wahre.“
    Hier beschreibt Hölderlin das Paradox, dass die Zeit lange dauert, dass sie lange Weile hat, langweilig ist, dass ein Augenblick dem Augenblick folgt. Aber mitten in der Zeit ereignet sich das Wahre, das, was jenseits der Zeit liegt, was die Zeit übersteigt. Für Hölderlin ist es die Trunkenheit der Liebe, in der die ursprüngliche Einigkeit des Lebens mitten in der Brüchigkeit dieser Welt erahnt und erfahren werden kann.
    Aber die Erfahrung solcher Einheit ist nur von kurzer Dauer. Die Dichter versuchen, dem Ewigen in ihrem Wort zum Durchbruch in unserer Zeitlichkeit zu verhelfen. „Was bleibet aber, stiften

Weitere Kostenlose Bücher