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Das Buch der Lebenskunst

Das Buch der Lebenskunst

Titel: Das Buch der Lebenskunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Lebenslinie sei ein Halbkreis. Ab der Lebensmitte neigt sie sich wieder nach unten. Wenn ich mich damit aussöhne, wird meine psychologische Reif ungslinie nach oben gehen.
    Doch wenn ich mich krampfhaft jung halte und gegen meine Biologie lebe, wird meine psychologische Linie abknicken. Jung nennt das Festhalten am Jungsein eine Perversion. „Ein Junger, der nicht kämpft und siegt, hat das Beste seiner Jugend verpasst, und ein Alter, welcher auf das Geheimnis der Bäche, die von Gipfeln in Täler rauschen, nicht zu lauschen versteht, ist sinnlos, eine geistige Mumie, welche nichts ist als erstarrte Vergangenheit. Er steht abseits von seinem Leben, maschinengleich sich wiederholend bis zur äußersten Abgedroschenheit. Was für eine Kultur, die solcher Schattengestalten bedarf!“
    Der Weg geht von außen nach innen. Wir müssen Altwerden annehmen als Chance, in uns neue Welten zu entdecken.

    NICHT AUSWEICHEN
    Das Altern ist Vorbereitung auf den Tod. Wer dem Tod ausweicht, weicht der wichtigsten Aufgabe seines Lebens aus. C. G. Jung beobachtet, dass es die gleichen Menschen sind, die in der Jugend Angst haben vor dem Leben und im Alter Angst vor dem Tod. Er schreibt: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade jene jungen Leute, welche das Leben fürchten, später ebenso sehr an Todesangst leiden. Sind sie jung, so sagt man, sie hätten infantile Widerstände gegen die normalen Forderungen des Lebens. Sind sie alt, so müsste man eigentlich dasselbe sagen, nämlich, dass sie ebenfalls Angst vor einer normalen Forderung des Lebens haben.“
    Religion ist für Jung vor allem eine Schule für die zweite Lebenshälfte und ein System „der Vorbereitung des Todes“. Und er meint, dass es der menschlichen Seele entsprechen würde, im Tod die Sinnerfüllung des Lebens zu sehen. Wer sich von dieser Grundtatsache seiner Seele trennt,
    „hat sich psychologisch isoliert und steht im Gegensatz zu seinem eigenen allgemein- menschlichen Wesen“. Und Jung meint, dass diese Trennung von der Wahrheit der eigenen Seele die Ursache aller Neurosen ist. Der Mensch bleibt nur gesund, wenn er sich der Wahrheit seines Lebens und seiner Seele stellt. Wer sich gegen seine Seele stellt, gerät in einen Zwiespalt, der krank macht. „Denn“, so meint Jung, „es ist ebenso neurotisch, sich nicht auf den Tod als ein Ziel einzustellen, wie in der Jugend die Phantasien zu verdrängen, welche sich mit der Zukunft beschäftigen.“ Jung sieht in der Rastlosigkeit vieler Alter ein Zeichen der neurotischen Flucht vor der eigenen Wahrheit. Rastlosigkeit aber erzeugt immer Sinnlosigkeit. In der Rastlosigkeit flieht man vor der Sinnlosigkeit des Lebens. Überwinden kann man sie nur, wenn man sich dem eigenen Tod stellt.

    ARS MORIENDI
    Sich den Tod vor Augen halten befreit von der Angst. So wurde ein Altvater einmal gefragt, warum er nie Angst habe. Und er antwortete, weil er sich täglich den Tod vor Augen halte. Die Einübung ins Sterben ist wohl die entscheidendste geistliche Aufgabe des Alters. Es gibt heute viele Bücher, die von Nahtodeserlebnissen berichten. Menschen, die bereits klinisch tot waren, erzählen ihre Erfahrungen. Sie stimmen darin überein, dass sie keine Angst mehr vor dem Tod haben und dass sie nun viel bewusster und intensiver leben. Sie spüren, was es für ein Geheimnis ist, zu leben. Sie erfahren jeden Tag neu das Geschenk des Lebens. So bekommt ihr Leben eine andere Qualität. Angesichts des Todes zu leben könnte uns eine neue Lebensqualität schenken, eine neue Wachsamkeit und Achtsamkeit des Herzens.
    Heute haben die Menschen aber nicht nur vor dem Tod Angst und vor dem, was nach dem Tod geschieht, sondern noch viel mehr vor dem Zustand der Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit. Es geht gegen unsere innere Ehre, wenn wir ständig auf die Hilfe anderer angewiesen sind, wenn wir im Geist verwirrt sind und nicht mehr für voll genommen werden. Ich stelle mir immer wieder einmal vor, wie das denn bei mir wäre, wenn ich verwirrt wäre, nur noch ein Pflegefall, wenn meine Intelligenz weg wäre, wenn ich nicht mehr denken, schreiben, sprechen könnte. Es fällt mir nicht ganz leicht, das auszudenken. Aber wenn ich mich frage: Was trägt dich dann, was macht deinen Wert aus? Dann spüre ich: Es gibt in mir eine unantastbare Würde, die mir niemand nehmen kann, auch die Krankheit nicht, auch nicht das Verwirrtsein.
    Die Krankheit wäre dann wirklich Einübung in das Vertrauen. Ich kann nichts mehr festhalten, alles muss

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