Das Buch der Lebenskunst
LICHT
Spiritualität führt immer in die Weite und Freiheit. Angst und Enge, autoritäres Pochen auf Glaubenswahrheiten und unklare Machtausübung sind immer Zeichen mangelnder Spiritualität. Spiritualität ist Erfahrung.
Sie will die Menschen zur Erfahrung einer inneren Freiheit führen: Wir sind in dieser Welt, aber nicht von ihr. Niemand hat Macht über uns, weil wir einen göttlichen Kern haben. Der Mensch wird erst Mensch, wenn göttliches Leben in ihm strömt. Die zentrale Botschaft des Christentums heißt: Es gibt keinen Tod, in dem nicht schon der Anfang neuen Lebens ist. Es gibt kein Kreuz, dem nicht die Auferstehung folgt. Es gibt keine Dunkelheit, in der nicht schon das Osterlicht aufleuchtet, kein Leid, in dem wir allein gelassen sind.
Die Botschaft von Tod und Auferstehung ist aber auch Appell, den Aufstand zu wagen gegen alle Hindernisse, die heute in unserer Welt das Leben blockieren, gegen ungerechte Strukturen, gegen die vielen Kreuze, die heute täglich aufgerichtet werden. Tod und Auferstehung Jesu befreien uns von Bitterkeit und Resignation. Sie sind das Hoffnungszeichen schlechthin. Nach C. G. Jung hängt das Gelingen unseres Lebens davon ab, wie wir mit dem Leid umgehen. Nicht masochistisches Kreisen um das Leid, sondern Durchgang durch das Leid führt zum Leben.
Was uns Not tut: jetzt schon aufzustehen aus dem Dunkel in das Licht, aus der Enge in die Weite, aus der Starre in die Lebendigkeit, aus dem Grab in das aufrechte Stehen und Gehen. Auferstehung geschieht hier und jetzt für den Einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft, wenn Menschen aufstehen gegen ungerechte Strukturen, wenn Menschen den Aufstand wagen gegen alle Hindernisse des Lebens.
BESITZ
Immer wieder in unserem Leben geht es um das Loslassen, Loslassen von Sicherheiten, von Besitz. Nic ht nur von materiellem Besitz. Immer wieder sind wir in unserem Leben herausgefordert, uns von manch lieben Vorstellungen zu lösen, um uns immer wieder neu auf neue Wege führen zu lassen. Letztlich geht es darum, uns selbst loszulassen. Wir stehen uns selbst oft genug im Weg. Spirituelle Reifung kann nur geschehen, wenn wir uns loslassen, wenn wir es aufgeben, uns festzukrallen an unserer Gesundheit, an unserer Kraft, an unserer Position.
Vielleicht geht es uns wie dem Landpfarrer bei Bernanos, der kurz vor seinem Tod betet: „Du hast mich ganz und gar entblößt, wie nur du zu entblößen vermagst.“ Aber darin erfährt er auch Freiheit. Darin erfährt er, dass er sich ganz und gar diesem Gott zur Verfügung stellen darf und gerade dadurch fruchtbar wird für diese Welt.
ALLEINSEIN
Allein und ehelos zu leben kann eine Quelle von Lebendigkeit und Fruchtbarkeit sein kann. Die geistliche Tradition hat Ehelosigkeit als Überlassen beschreiben. Ich überlasse mich Gott, damit Er mich in Dienst nimmt, damit Er das Bild in mir ausprägt, das Er sich von mir gemacht hat, damit Er sich durch mich auf einzigartige Weise in dieser Welt ausdrücken und Gestalt werden kann. Und ich überlasse mich den Menschen. Ehelosigkeit im Dienst der Gemeinschaft hat das Ziel, Gemeinschaft zu stiften, ein Gespür für alle Menschen zu entwickeln.
Und sie hat mit Freiheit zu tun. Vacare deo nennen es die Alten: frei sein für Gott. Aber diese Freiheit kann auch nur erfüllt gelebt werden, wenn ich meine tiefste Heimat in Gott finde, wenn ich mein Herz in ihm festmache. Und dazu ist eben eine gesunde Lebenskultur wichtig.
Wenn ich Ehelosigkeit so lebe, kann sie eine eigene Quelle von Lebendigkeit und Fruchtbarkeit werden. Es gibt eine Form von Lebendigkeit, die in der Ehelosigkeit besser gelebt werden kann als in der Ehe. Aber wir werden diese Lebendigkeit auch nur dann in uns spüren, wenn wir die Sexualität als Quelle unserer Spiritualität entdecken und sie in alle Lebensvollzüge hinein integrieren.
DAS ALTWERDEN ANNEHMEN
Der Prozess des Alterns wird besser gelingen, wenn ich anschaue, was sich bei diesem Prozess in meiner Seele tut. Sich seiner eigenen Wahrheit zu stellen kann weh tun. Es ist nur zu leicht verständlich, dass viele dieser schonungslosen Selbsterkenntnis im Alter ausweichen. C. G. Jung nennt einige Fluchtmöglichkeiten alter Menschen vor sich selbst. Da ist einmal das krampfhafte Festhalten am Jungsein. Man will sich dem Alter nicht stellen, man will sich jung halten, man joggt und treibt Sport und ahmt in Kle idung und Auftreten die Jungen nach. Man will sich mit Gewalt jung halten.
C. G. Jung meint, unsere biologische
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