Das Buch der Schatten 2
Eltern dachten. Doch Cal überließ es mir, ob ich vor den anderen um Hilfe bitten wollte. Ich sagte nichts.
»Etwa dass ich Hilfe brauche, weil meine Stiefschwester mich so nervt?«, fragte Sharon. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie eine Stiefschwester hatte. Heute stand ich zwischen Jenna und Sharon und ihre Hände fühlten sich klein und weich an.
Cal lachte. »Du kannst nicht darum bitten, andere zu
verändern. Aber du könntest darum bitten, dass es dir besser gelingt, mit ihr klarzukommen.«
»Mein Asthma meldet sich wieder, seit es kälter geworden ist«, sagte Jenna. Ich erinnerte mich, dass sie in letzter Zeit öfter mal gehustet hatte, aber ich hatte nicht gewusst, dass sie Asthma hatte. Leute wie Jenna, Sharon und Bree – sie regierten unsere Schule. Ich hatte noch nie darüber nachgedacht, dass sie auch Probleme und Schwierigkeiten haben könnten. Nicht bevor Wicca in unser Leben gekommen war.
»Okay, Jennas Asthma«, meinte Cal. »Sonst noch etwas?«
Niemand von uns sagte etwas.
Cal senkte den Kopf und schloss die Augen und wir taten es ihm nach. Der Raum war erfüllt von unseren tiefen, gleichmäßigen Atemzügen, und ganz allmählich, mit jeder weiteren Minute, spürte ich, dass sich unsere Atemzüge einander anglichen, sich aufeinander einstellten, sodass wir zusammen ein- und ausatmeten.
Dann sagte Cal, mit lauter und ein wenig rauer Stimme:
»Gesegnet seien die Tiere, die Pflanzen und alles Lebendige.
Gesegnet seien die Erde, der Himmel, die Wolken, der Regen.
Gesegnet seien alle Menschen,
innerhalb von Wicca und außerhalb davon. Gesegnet seien Göttin und Gott und alle Geister, die uns helfen.
Gesegnet sei. Wir erheben unser Herz, unsere Stimme, unseren Geist zu Göttin und Gott.«
Wir bewegten uns sonnenwendig, und unsere Worte stiegen und fielen in einem Muster auf und ab und wurden zu einem Lied. Wir sprangen und tanzten abwechselnd in unserem Kreis, und das Lied wurde zu einem Freudenschrei, der den Raum und die Luft erfüllte. Ich lachte atemlos, fühlte mich glücklich und schwerelos und sicher in diesem Kreis. Auch Ethan lächelte, aber er war konzentriert, sein Gesicht war gerötet und seine Korkenzieherlocken hüpften um seinen Kopf herum. Sharons seidig schwarzes Haar flog und sie sah schön und sorgenfrei aus. Jenna wirkte wie eine blonde Feenkönigin und Matt war dunkel und entschlossen. Robbie bewegte sich mit neuer Anmut und Geschicklichkeit und wir tanzten immer schneller im Kreis. Das Einzige, was ich bei diesem Kreisritual vermisste, war Brees Gesicht.
Ich spürte, wie Energie aufstieg. Sie kringelte sich um uns herum, baute sich auf, wurde dichter und wirbelte durch unseren Kreis. Der Boden des Wohnzimmers war warm und glatt unter meinen Füßen, die in Socken steckten, und ich hatte das Gefühl, wenn ich
Jennas und Sharons Hände losließ, würde ich durch die Decke in den Himmel davonfliegen. Als ich nach oben schaute, sah ich, dass sich die weiße Decke wabernd auflöste, um mir die tiefe indigofarbene Nacht und die weißen und gelben Sterne zu zeigen, die strahlend am Himmel standen. Von Ehrfurcht ergriffen, schaute ich nach oben und sah da, wo vorher nur eine normale Zimmerdecke gewesen war, die unendlichen Tiefen des Universums. Ich wollte die Hand ausstrecken und die Sterne berühren, und ohne zu zögern löste ich meine Hände und streckte die Arme über den Kopf.
Im selben Augenblick ließen alle anderen auch los und reckten die Arme hoch in die Luft, und der Kreis blieb stehen, wo er war, während sich die wirbelnde Energie weiter um uns schlängelte und immer stärker wurde. Ich griff nach den Sternen, spürte, wie die Energie gegen meine Wirbelsäule drückte.
»Nehmt die Energie in euch auf! «, rief Cal, und automatisch drückte ich die verschränkten Hände an meine Brust. Ich atmete Wärme ein und weißes Licht und spürte, wie sich sämtliche Sorgen auflösten. Ich schwankte auf den Füßen und versuchte noch einmal, die Sterne zu berühren. Ich langte nach oben und strich über ein winzig kleines stechendes Licht, dessen Berührung heiß und scharf an meinen Händen war. Es fühlte sich an wie ein Stern und ich zog die Hand an mich.
Mit dem Licht in der Hand sah ich die anderen an
und überlegte, ob sie es sehen konnten. Cal war neben mir, weil ich immer zu viel Energie aktivierte und mich hinterher erden musste. Doch diesmal fühlte ich mich gut – nicht benommen, nur ganz leicht übel, nur glücklich und unbeschwert und voller
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