Das Buch der Sünden
geschah nichts.
2.
Wenige Tage nach der Ankunft des Mönchs aus Noirmoutier bot sich für Odo nach langer Zeit einmal wieder eine Gelegenheit, die Klostermauern zu verlassen. Nach der Laudes, dem Morgenlob, nahm ihn der Prior von Saint Geneviève zur Seite. Er bat ihn, den Bruder zum Hafen von Paris zu begleiten, von wo aus dieser seine Weiterreise antreten wolle. Bei dieser Gelegenheit könne Odo auch gleich einen Sack Salz kaufen, denn der Cellerar, der eigentlich für derartige Besorgungen zuständig war, lag mit einer Fiebererkrankung im Bett.
Odo sagte zu, und sie brachen im Morgengrauen auf.Am späten Nachmittag erreichten sie die Stadt. Odo führte den Mönch zum Hafen, wo sie sich trennten. Während der Bruder sich nach einer geeigneten Mitreisemöglichkeit umschaute, schlenderte Odo über die Landebrücken. Staunend betrachtete er die Schiffe, die aus aller Welt mit ihren Waren nach Paris gekommen waren. Mannshohe Stoffballen gab es hier sowie Fässer voller Wein und Bier, außerdem Kisten mit Räucherfisch und prallgefüllte Säcke mit Getreide.
Odo erinnerte sich an den Auftrag des Priors. Er ging zu einem Schiff, das unter anderem Salz geladen hatte. Als er nach dem Seemann, der die Mannschaft befehligte, Ausschau hielt, vernahm er plötzlich eine eigenartige Sprache, deren Klang ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Es war die Sprache der Normannen, die Odo seit dem Angriff auf Paris nicht mehr gehört hatte. Sofort tauchten die grauenvollen Bilder wieder vor seinem geistigen Auge auf, und für einen winzigen Augenblick glaubte er, Ragnar vor sich zu sehen.
Doch das Bild verblasste, als sich mit einem Mal ein gedrungener, breit grinsender Mann vor ihm aufbaute. Odo wich einen Schritt zurück. Der Mann hob beruhigend beide Hände.
«Ihr braucht keine Angst vor mir zu haben, Bruder», sagte er. «Bitte tut mir einen Gefallen und segnet mein Schiff.»
Odo fing sich wieder. Gerade wollte er erwidern, dass er dazu nicht befugt sei, denn Segnungen waren Priestern vorbehalten. Aber er besann sich eines Besseren, schlug das Kreuz zunächst vor seiner Brust und wiederholte dann die Geste in Richtung des Schiffes.
Der Seemann, der aus Paris stammte, dankte es Odo miteiner kurzen Verbeugung. «Wenn ich Euch nun meinerseits einen Gefallen tun kann, so sagt es nur», forderte er Odo auf.
Odo verschwendete keinen weiteren Gedanken an das Salz. «Ich habe soeben gehört, wie man sich auf Eurem Schiff in der Sprache der Normannen unterhalten hat. Sind diese Männer Dänen?»
Der Seemann nickte. «Es sind zwar wilde und trinkfreudige Kerle, aber sie sind zäh und ausdauernd.»
Odo gab sich einen Ruck. «Ich bin auf der Suche nach einem Dänen. Sein Name lautet Ragnar Loðbrœk. Vielleicht habt Ihr von ihm gehört?»
Bei der Erwähnung des Namens veränderte sich schlagartig der Gesichtsausdruck des Seemanns. «Natürlich», erwiderte er finster. «Jeder Seefahrer kennt den Namen dieses Piraten.» Er spuckte verächtlich ins Wasser. «Gott sei tausendmal gedankt, dass dieser Mörder endlich tot ist.»
Odo stockte der Atem.
«Es ist schon einige Jahre her», fuhr der Seemann fort, «dass der damals in Northumberland regierende König Ella den verfluchten Dänen in eine Grube voller Giftschlangen hat werfen lassen. Das geschah dem Bastard recht. Allerdings versetzen seither seine Söhne Ivar, Halfdan und Ubbe England und das ganze nördliche Meer in Angst und Schrecken.»
Der Seemann spuckte abermals aus. «Diese Plage …»
Odo unterbrach ihn aufgeregt. «Habt Ihr vielleicht auch etwas von einer Frau gehört, die sich in Ragnars Begleitung befunden haben könnte? Eine schöne Frau, eine Sarazenin, mit langem schwarzem Haar und bronzefarbener Haut?»
«Eine Sarazenin?»
Odo nickte heftig.
Der Seemann steckte Daumen und Zeigefinger seiner Rechten in den Mund und pfiff laut zu seinem Schiff hinüber. Als die Männer aufblickten, winkte er einen von ihnen zu sich. Es war ein grobschlächtiger Kerl mit wildem Bart und blaugeätzten Tätowierungen auf den Oberarmen.
«Das ist Guttorm», sagte der Seemann zu Odo. «Er ist vor vielen Jahren in Ragnars Flotte gefahren.»
«Auch zu der Zeit, als die Normannen Paris angegriffen haben?», wollte Odo wissen.
Der Seemann zuckte mit den Schultern. Er sprach Guttorm auf Dänisch an. Der Däne musterte Odo, dann nickte er.
«Fragt ihn nach der Frau – bitte!», sagte Odo.
Als der Seemann Guttorms Antworten übersetzte, kam es Odo vor, als würde sich unter
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