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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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seinen Füßen die Erde auftun und er in einen Höllenschlund stürzen. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt.
    Er erfuhr, dass Ragnar nach dem Angriff auf Paris tatsächlich eine außergewöhnlich schöne, schwarzhaarige Frau, deren Haut recht dunkel gewesen sei, mit ins dänische Reich genommen habe. Nachdem Ragnar dem Dänenkönig Horick dem Älteren einen Teil der Beute und einen Pfosten der Stadt Paris überreicht habe, habe er auch im darauffolgenden Jahr die Frau bei sich gehabt, als der Häuptling seine Schiffe zunächst gegen Dorestad, einen großen friesischen Handelsplatz, geführt habe. Im Spätherbst habe Ragnar die Stadt angegriffen und in Brand gesteckt. Dann sei er weiter gegen England gesegelt, um dort Krieg zu führen.
    Odo schlug entsetzt die Hand vor den Mund. «Dann war sie also noch bei ihm, als er hingerichtet wurde?»
    Guttorm schüttelte grinsend den Kopf und redete weiter.
    Irgendwann unterbrach ihn der Seemann. Er legte die Stirn in Falten. «Das Wort
úhraustr
kenne ich nicht.»
    Daraufhin deutete Guttorm mit seiner Hand einen deutlich gewölbten Bauch an.
    «Ich glaube, er will sagen, dass die Frau schwanger war», meinte der Seemann.
    Odo zitterte am ganzen Leib. «Was   … was ist mit ihr geschehen?»
    Mit spitzen Lippen verfolgte der Seemann Guttorms weiteren Bericht. Dann übersetzte er, wobei er Odo einen entschuldigenden Blick zuwarf: «Tut mir leid, Bruder Mönch. Aber Ragnar soll die Frau über Bord geworfen haben, als er die Schwangerschaft entdeckt hatte.»
    «Bei Gott!», stammelte Odo. «Wo ist das geschehen?»
    Als der Seemann dem Dänen diese Frage stellte, verschränkte Guttorm demonstrativ die Arme vor der Brust.
    «Er will, dass du ihn für seine weiteren Auskünfte bezahlst», sagte der Seemann.
    Odo zögerte keinen Augenblick, alle Münzen hervorzuholen, die ihm der Prior für den Kauf des Salzes gegeben hatte. Die Augen des Dänen leuchteten gierig. Doch bevor er nach dem Geld greifen konnte, nahm der Seemann es Odo aus der Hand.
    Zerknirscht fuhr Guttorm fort. Nachdem er geendet hatte, meinte der Seemann: «Er sagt, dass sich die Sache mit der Frau etwa fünfzig Meilen westlich von Dorestad, vor der Küste Flanderns, ereignete, unmittelbar bevor man Kurs auf England nahm.»
    Die Gedanken rasten durch Odos Kopf. Er dankte den Männern und eilte zum Kloster zurück. Das Salz hatte er völlig vergessen. Zur Strafe für die angeblich auf dem Weg verlorenen Münzen wurde er für eine Woche vom Essen und den Gebeten ausgeschlossen.
    In dieser Nacht fand Odo keinen Schlaf. Wieder und wieder rief er sich die Worte des Dänen ins Gedächtnis zurück. Nach dem Überfall auf Paris habe Ragnar eine Frau ins dänische Reich verschleppt. Eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau! War es Alexandra gewesen?
    Unruhig drehte er sich in seinem Bett hin und her. Die anderen Brüder schliefen bereits. Allmächtiger, dachte Odo. War
sie
es?
    Plötzlich richtete er sich auf. Er würde niemals Ruhe finden können, solange er diese Frage nicht geklärt hätte. Er musste nach Alexandra suchen. Sofort!
    Lautlos kleidete er sich an und schlich in die Zelle des Cellerars, wo er aus der Börse des schlafenden Mönchs eine Handvoll Münzen nahm. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Aber er glaubte, keine andere Wahl zu haben, und hoffte, Gott würde ihm diese Tat verzeihen. Dann verließ er das Kloster.
    So viele Jahre hatte er Gott um ein Zeichen gebeten – und nun hatte er es endlich erhalten.

3.
    Zwei Wochen später, im Herbst des Jahres 861, erreichte Odo die Küste des großen Nordmeeres.
    Seine Mönchskutte hatte er gegen weltliche Kleidung eingetauscht. Er trug einen schlichten Kapuzenmantelaus Leinen und eine Baumwollhose, als er an einem stürmischen Tag an der Küste Flanderns stand und in die tosende Brandung starrte.
    Am Horizont kämpfte ein Schiff gegen Wind und Wellen an.
    Hier, überlegte Odo, hätte es stattgefunden haben können. Vielleicht war es ein Tag wie dieser gewesen. Ein stürmischer Tag, an dem die grauen Wolken so tief hingen, dass sie die Oberfläche des Meeres beinahe berührten.
    Donnernd rollten die Wellen vor Odos Füßen aus. Feine Wassertropfen wirbelten durch die Luft. Sie benetzten sein Gesicht unter der Kapuze und vermischten sich mit den Tränen, die über seine Wangen liefen.
    Úhraustr,
hatte der Däne gesagt.
    Sie sei schwanger gewesen. Schwanger vom Samen des Teufels.
    Plötzlich hörte Odo in seinem Rücken eine helle Stimme. Er drehte sich um. Ein altes

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