Das Buch der Sünden
herumgesprochen.»
Auf dem Grill verkohlten die Kloßscheiben. Selbst Damek schien das Essen vergessen zu haben. Sie hingen schweigend ihren Gedanken nach, lauschten dem Knacken des Feuerholzes und starrten in die Flammen.
Nach einer Weile sagte Teška endlich: «Ich kann nicht glauben, dass er so dumm ist, diese Einnahmen aufs Spiel zu setzen.»
«Ich kann nur das wiedergeben, was ich gesehen und gehört habe. Aber vielleicht hast du recht, Duša. Vielleicht verfolgt er mit seiner Grausamkeit ganz andere Ziele.»
«War dieser Tetĕslav bei der Zeremonie auf dem Opferplatz?», fragte Helgi.
«Nein, er ist seit einiger Zeit nicht mehr gesehen worden. Man sagt, er sei mit seinen Kriegern auf die Jagd gegangen.» Damek stieß einen schweren Seufzer aus. «Sei nur froh, Duša, dass du diesen Mann nicht geheiratet hast.» Er griff nach einem der angekohlten Kloßstücke, das er jedoch nach dem ersten Bissen angewidert ins Feuer warf.
Helgi stockte der Atem. Teška hatte diesen grausamen Mann heiraten wollen? War sie etwa in ihn verliebt gewesen? Warum hatte sie niemals etwas davon erzählt?
Doch bevor er sie danach fragen konnte, sprang sie auf und lief zur Tür.
«Duša, wo willst du hin?», rief Damek.
Doch sie war bereits in der Dunkelheit verschwunden. Damek wuchtete seinen massigen Körper in die Höhe. «Wir müssen auf sie aufpassen!»
Ansgar und Helgi schnellten ebenfalls hoch. Zu dritt stürmten sie hinter Teška her aus der Hütte.
14.
Schon von weitem waren hämmernde Geräusche zu hören. Wie von Sinnen schlug Teška mit einem Knüppel auf die Tür ein, die ihr Vater einst aus Eichenholz hatte anfertigen lassen.
Sie war außer sich vor Wut und Hilflosigkeit. Dameks Worte hatten sie an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Sie musste in ihr Elternhaus, musste herausfinden, was der Mörder aus dem gemacht hatte, was Ranislav einst aufgebaut hatte. Und sie musste nachschauen, ob die Pfeilspitze, die Ranislavs Schädel durchbohrt hatte, noch immer in der Wand steckte – die Pfeilspitze, mit der sie Tetĕslav belasten konnte. Damit würde sie ihn des Mordes an ihrem Vater überführen, und dann würden sich die Ranen gegen ihren Unterdrücker Tetĕslav auflehnen.
Dieser Plan war äußerst riskant, das war ihr bewusst, und um ihn zu erfüllen, waren weitaus mehr Beweise nötig als das tödliche Geschoss. Aber sie hatte keine andere Wahl.
Teška holte erneut aus und ließ den Knüppel gegendie Tür krachen, wieder und wieder. Von den Schlägen schmerzten ihre Hände, und die Tür hielt noch immer.
Plötzlich packte jemand von hinten ihren Arm und hielt ihn fest.
Teška wirbelte herum. «Lass mich», fauchte sie Helgi an.
Aber er dachte nicht daran. Mit einem Ruck riss er ihr den Knüppel aus den Händen. «Du tust dir doch weh!», sagte er.
Damek trat auf Teška zu. «Tetĕslav ist nicht zu Hause. Bitte, Duša, komm wieder zur Vernunft.»
«Nein! Er hat alles zerstört. Den Handel, den Markt, die Landwirtschaft, die Fischerei! Unser Leben! Er hat die Menschen zu seinen Sklaven gemacht! Ich weiß, wie es ist, in Sklaverei zu leben! Ja, ich weiß es – ich habe es am eigenen Leib erleben müssen.» Ihre Stimme überschlug sich. «Und er hat …»
Doch die Worte wollten nicht über ihre Lippen. Zu schrecklich waren die Erinnerungen an jenen Tag, an dem das Böse – das unaussprechliche Böse – über ihre Familie gekommen war.
Teška zitterte am ganzen Körper. Sie taumelte. Ihr wurde schwarz vor Augen.
«Duša, bitte, Duša!» Damek fing die schwankende Teška gerade noch rechtzeitig auf.
Während er sie noch besorgt musterte, wurde mit einem Mal die Tür von innen entriegelt. Im Türspalt erschienen die rundlichen Gesichter von zwei jungen Frauen. Teška erkannte sie sofort wieder. Sie hießen Biula und Klenka und waren Zwillinge, etwa in Teškas Alter. Teška hatte die beiden noch nie ausstehen können. Sie ließen keine Gelegenheitaus, den Männern die Köpfe zu verdrehen. Zwar waren sie nicht besonders hübsch, aber Zwillinge waren begehrt, da man in ihnen die Wiedergeburt der Göttinnen sah.
Und einem Mann, der sich mit Göttinnen vereinte, war ewiges Leben versprochen. Das musste Tetĕslav ja gefallen.
«Geht zur Seite», herrschte Teška die beiden an.
«Das Haus gehört dir nicht mehr», entgegnete Biula.
«Wo kommst du überhaupt her?», fragte Klenka. «Alle haben gesagt, du bist tot!»
«Den Gefallen habe ich euch nicht getan. Jetzt lasst mich
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