Das Buch der Sünden
sagt: «Du hast mich unterschätzt, Ranislav! Hast wohl geglaubt, ich lasse mich von dir abweisen, du verdammter Narr. Aber ich bekomme immer, was ich haben will. Immer! Und wenn du mir deine Tochter nicht gibst, dann nehme ich sie mir ohne dein Einverständnis.»
Vater schüttelt entsetzt den Kopf. «Niemals! Außerdem – das Einzige, was du willst, ist die Herrschaft über Ralsvik.» Tetĕslav lacht unter seiner Maske. Dann schießt er.
Der Pfeil durchbohrt Ranislavs rechtes Auge. Nagelt den Schädel an der Wand fest. Tetĕslav lacht erneut. Dann verschwindet er wieder.
Jemand schreit. Ich bin es! Ich halte es nicht mehr aus und schreie.
Die Seeräuber stürmen zur Vorratskammer. Sie entdecken mich und werfen mich auf das Bett meiner Eltern. Reißen mir die Kleider vom Leib. Sie stinken nach Bier und Schweiß. Fauliger Atem. Keuchen, Stöhnen. Ihre blaugeätzten Gesichter grinsend über mir. Ich spüre nichts mehr. Mein Unterleib ist taub, tot. Ich drehe mich weg und schaue zu meinem Vater hinüber. Der Pfeil ragt aus seinem Auge hervor wie ein Geweih.
Später bringen sie mich auf eines ihrer Schiffe, die am Strand liegen. Sie sperren mich in einen Käfig. Tetĕslav sehe ich nicht wieder.
Die Geräusche von Pferdehufen vor der Tür ließen Teškas Erinnerungen verblassen. Ihr wurde eiskalt. Sie wusste, wer mit den Pferden gekommen war.
Sie atmete mehrmals tief durch. Jetzt kam es darauf an. Sie musste ruhig bleiben, ganz ruhig und besonnen, denn sie durfte keinen Fehler machen.
Biula und Klenka stimmten ein Triumphgeheul an.
«Jetzt kommt unser Wojwode Tetĕslav zurück», kreischte Biula siegessicher. «Er wird euch den Hals durchschneiden.»
Als Helgi sein Schwert ziehen wollte, legte Teška ihm eine Hand auf den Arm. «Du kannst nichts gegen ihn ausrichten. Überlass ihn mir.»
Von draußen war scharfes Hundegebell zu vernehmen. Dann flog die angelehnte Tür auf und knallte gegen die Wand.
Der Mörder kehrte zurück.
Tetĕslavs Gestalt füllte den Türrahmen aus.
Seine dunklen Augen funkelten, als er Teška erblickte. In seinem harten, bartlosen Gesicht regte sich kein Muskel, als er ins Licht trat. Der Feuerschein fiel auf sein offenes schwarzes Haar. An seinen Unterarmen glänzten schlangenförmige Reifen aus purem Silber; die vergoldeten Sporen an seinen Stiefeln klirrten bei jedem Schritt. Er war nicht ganz so groß wie Helgi, aber seine Züge waren deutlich männlicher ausgeprägt. Tetĕslav war bereits siebenundzwanzig und damit zehn Jahre älter als Helgi. Am Gürtel des Wojwoden baumelte ein halbes Dutzend toter Tauben. Den Bogen hatte er über seinen Rücken gespannt, ebenso den ledernen Köcher mit den Widerhakenpfeilen.
Hinter ihm erschienen in der Tür fünf Krieger, seine Männer, die er mit zur Jagd genommen hatte. Sie hatten drei schwarze Hunde dabei. Es waren stämmige Tiere,deren Muskeln und Sehnen unter dem Fell zitterten. Angriffslustig fletschten sie die Zähne.
Biula zeigte anklagend auf Teška und rief: «Sie hat die Tür aufgebrochen. Wir konnten nichts dagegen tun.»
«Ja, bestraf sie! Schlag dem Weib den Kopf ab», forderte Klenka.
Tetĕslav hatte Teška bislang nicht aus den Augen gelassen. Doch nun wandte er sich den Zwillingen zu und befahl ihnen, vor ihm niederzuknien. Die Frauen machten einen überraschten Eindruck. Nichtsahnend folgten sie seiner Aufforderung. Ohne Vorwarnung hob er den rechten Stiefel und trat damit zunächst Biula und gleich danach Klenka ins Gesicht, sodass ihre Nasen brachen. Die Zwillinge kippten brüllend vor Schmerzen nach hinten. Auf ein Zeichen von Tetĕslav hin packten zwei der Krieger die Frauen und schleiften sie durch die Tür ins Freie. Die Hunde folgten ihnen knurrend.
Tetĕslav musterte die Eindringlinge, von denen keiner wagte, ihn direkt anzuschauen. Helgi hielt noch immer das Schwert in der Hand. Ansgar hatte die Hände zum Gebet erhoben. Damek presste die Lippen zusammen.
Einzig Teška hielt Tetĕslavs Blick stand. Es war unmöglich, seinem Gesicht abzulesen, was er dachte. Lähmende Stille breitete sich im Saal aus. Plötzlich begannen seine Mundwinkel zu zucken und zauberten ein Lächeln auf seine Lippen.
Er hat Vater umgebracht, aber er scheint tatsächlich nicht zu wissen, was damals noch geschehen ist, dachte Teška. Er weiß nicht, dass ich in der Kammer war und ihn erkannt habe. Er weiß nicht, dass die Seeräuber mich verschleppt haben. Er weiß das alles nicht! Mein Plan könnte also gelingen …
«Du
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