Das Buch der Sünden
Teškas Vater Ranislav noch herrschte. Ranislav war mir wie ein Bruder, und seine Familie war auch meine Familie. Doch nun …» Ein Schatten legte sich über sein Gesicht.
Helgi nutzte Dameks Redepause und fragte nach der Bedeutung der Zeremonie, die sie gerade gesehen hatten.
Damek seufzte. «Žilobog wollte das Mädchen töten und ihr Herz den Göttern opfern, so wie es früher Brauch war.»
«Warum ausgerechnet Žiliška?»
Damek schüttelte den Kopf. «Sie war lange verschwunden, und auf einmal, vor einigen Tagen, verkündete er, siesei zurückgekehrt, um sich dem Hohepriester als
žrtva,
als Opfer, anzubieten. Aber ich glaube das nicht. An dieser Geschichte stimmt irgendetwas nicht …»
Er verstummte abrupt, denn sie hatten die Siedlung erreicht, wo sich viele Menschen an der Kulthalle versammelt hatten. Neugierig betrachteten die Ranen die Frau und die beiden Männer an der Seite des Toblacs. Da baute sich Damek vor den Menschen auf und rief: «Ranislavs Tochter ist zu uns zurückgekehrt!»
Ein Raunen ging durch die Menge. Unzählige Hände wurden nach Teška ausgestreckt. Die Menschen berührten sie vorsichtig, als müssten sie ganz sichergehen, dass sie wirklich als leibhaftiger Mensch wiedergekommen war.
Damek, der die Aufmerksamkeit an Teškas Seite sichtlich genoss, schob sie und die anderen beiden durch die staunende Menge bis zur Kulthalle.
Als sie das Gebäude erreichten, weigerte sich Ansgar vehement, den heidnischen Tempel zu betreten. Auch Helgi zog es angesichts der vielen fremden Menschen vor, draußen zu bleiben, während die Ranen Damek und Teška hinein folgten, bis das Gebäude auf den letzten Platz gefüllt war.
Das Innere der Kulthalle war auch von außen gut einsehbar, denn ihre Bretterwände waren in regelmäßigen Abständen durch große Sichtfenster durchbrochen. Innen wurde die Halle durch Feuerschalen ausgeleuchtet. Im hinteren Bereich stand ein Podest. An den Wänden hingen bleiche Totenschädel von Pferden, Hirschen und gehörnten Ochsen. Das Spitzdach war mit Holzschindeln gedeckt; auf dem First hatte man vier verschiedene hölzerne Bildnisse angebracht. Diese stellten die Hauptgottheiten dar, die die Ranen auf Rujana anbeteten, wie Damek erklärthatte: Rugiaevit, Porevit, Porenut und der Hauptgott Svantevit.
«Schrecklich», flüsterte Ansgar.
«Was meinst du?», fragte Helgi.
Ansgar deutete auf die Holzfiguren auf dem First.
«Aber das sind doch nur ihre Götter», meinte Helgi gleichgültig.
«Ihre Götter?» Ansgar hob mahnend einen Zeigefinger. «Der Herr Jesus spricht: Kehrt um und wendet euch ab von euren Götzen. Und jeder, der seine Götzen in sein Herz schließt, den werde ich ausrotten aus der Mitte meines Volkes …»
«Dieses Volk gehört nicht deinem Jesus», warf Helgi ein.
«Doch! Alle Menschen sind Gottes Kinder.»
Helgi wendete sich achselzuckend wieder dem Geschehen im Tempel zu; der alte Munki konnte bisweilen wirklich lästig sein. In der Halle erhoben sich Jubelrufe, nachdem Damek und Teška auf das Podest gestiegen waren und Damek eine flammende Rede hielt, die er mit ausladenden Gesten unterstrich. Es schien, als falle von den Menschen durch Teškas Rückkehr eine Last ab. Als würden sie neue Hoffnung schöpfen.
Nach einer Weile beendete Damek die Versammlung, und die Menschen gingen nach und nach in ihre Hütten zurück. Ihre Mienen wirkten deutlich entspannter als zuvor.
Der Toblac Damek hauste in einer erbärmlichen Hütte.
Es war kaum mehr als ein windschiefer Schuppen in der Nähe des herrschaftlichen Anwesens, in dem der
wojwode,
der Fürst von Ralsvik, residierte. An Dameks Hüttebröckelte der Lehm von den Wänden, das Flechtwerk darunter vergammelte. Vom Dach löste sich das Schilf bündelweise. Als sie eintraten, kamen sie in einen zugigen, nach kaltem Rauch riechenden Raum. In der Mitte war eine Feuerstelle, über der an einem eisernen Dreibein ein Topf hing. Sein Schlaflager hatte Damek mit Reisig und einem von Motten zerfressenen Ziegenfell gepolstert. Im hinteren Bereich der Hütte stapelten sich Truhen und alte Fässer, in denen der Zauberer Lebensmittel und seine Habseligkeiten aufbewahrte.
Damek entzündete das Feuer und wies die anderen an, sich zu ihm zu setzen.
Ansgar blieb jedoch stehen. Angewidert betrachtete er die heidnischen Gegenstände, die an den Wänden hingen: Es gab Dutzende Figurendarstellungen verschiedener Götzen, die aus Eiben- und Buchenholz geschnitzt waren und drei, vier oder gar
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