Das Buch der Sünden
rein!»
«Nein.
Wir
wohnen hier.» Biula grinste schief. «Wir wärmen Tetĕslavs Lager.»
Teška zog und zerrte an der Tür, doch die Zwillinge hielten dagegen. Erst als Helgi mit einem kräftigen Ruck die Tür aufriss, purzelten Biula und Klenka ihm kreischend vor die Füße.
Teška machte einen Schritt über die Zwillinge hinweg. Die Männer folgten ihr in einen langen Saal, der von Tranlampen matt erleuchtet wurde. Hier hatte Ranislav früher die Versammlungen abgehalten, zu denen die Stammesältesten gekommen waren. Hier hatte er seine Pläne geschmiedet, mit denen er die Macht des Hohepriesters Žilobog gebrochen hatte.
Doch dann hatte von hier aus mit Tetĕslav die Herrschaft des Schreckens ihren Anfang genommen.
Teška schürte die Glut in einer der Feuerstellen, bis die Flammen aufloderten und das Innere erleuchteten. Nichts war mehr wie früher. Der Raum war zu einem Sinnbild für Verschwendung und Missbrauch von Macht geworden.Im Zentrum des Saals stand ein großes Podest, das Tetĕslav als Bett diente. Es war mit weichen, kostbaren Fellen gepolstert. Die einst zurückhaltend geschmückten Wände waren nun mit Schilden, Schwertern und Langbögen sowie Dutzenden Tierschädeln und Geweihen behängt. Teška entdeckte sogar die Felle weißer Füchse, die von weit her kamen und ein Vermögen kosteten, ebenso wie die Silberteller und Bernsteinketten, die im Feuerschein glitzerten.
An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand stand ein Thron, ein Holzstuhl, der mit feinen Schnitzereien verziert und eines Königs würdig war.
Tetĕslav sieht sich schon jetzt als Herrscher aller Ranen, dachte Teška.
Sie ging zum Thron, rückte ihn ein Stück zur Seite und begann, die Wand dahinter zu untersuchen. Vorsichtig ließ sie ihre Fingerspitzen über die Holzbohlen gleiten, und es dauerte nicht lange, bis sie fand, wonach sie gesucht hatte – ein kleines Loch, etwa so breit wie ihr Zeigefinger. Hier war der Pfeil aus Ranislavs Hinterkopf ausgetreten und hatte sich in die Wand gebohrt. Sie steckte ihren Finger hinein und spürte, dass die Spitze noch im Holz steckte.
Tetĕslav hatte es offensichtlich nicht für nötig gehalten, diese Spur zu verwischen. Vielleicht sah er es aber auch als Zeichen seiner Überlegenheit an, dass er die Spitze einfach hatte stecken lassen und den Thron an genau dieser Stelle platziert hatte.
Am anderen Ende des Saals war ein Streit zwischen Damek und den Zwillingen ausgebrochen. Sie beschimpften sich gegenseitig, unrechtmäßig in das Haus eingedrungen zu sein. Helgi und Ansgar standen abwartenddaneben, da der Streit auf Slawisch war und sie nichts verstanden.
Nachdem Teška den Thron wieder zurückgeschoben hatte, begann mit einem Mal ihr ganzer Körper zu zittern. Vor ihrem geistigen Auge nahmen die grauenvollen Bilder der Erinnerung erneut Gestalt an.
Ranislav hört die Stimmen draußen vor dem Haus. Wir sind zu dritt, Miroslava, meine Mutter, Ranislav und ich. Žiliška ist nicht zu Hause. Ranislav versteckt mich in der Vorratskammer. Ich bin seine Tochter, sein ganzer Stolz, sagt er mir. Ich soll mich nicht fürchten; die Männer würden uns nichts tun. Aber ich habe schreckliche Angst. Bevor er auch Miroslava in Sicherheit bringen kann, dringen Männer in unser Haus ein und schlagen alles kurz und klein. Ich kann sie durch den Türspalt sehen. Es sind sechs Seeräuber, Víkingr. Sie sind betrunken. Lachen, grölen. Ranislav versucht, sie aufzuhalten. Die Seeräuber ergreifen ihn. Und dann erschlagen sie Mutter mit einer Axt. Ihr Schädel klappt auseinander, sodass jedes Auge in eine andere Richtung schaut. Ich stecke mir eine Hand in den Mund, um nicht aufzuschreien, und beiße mir die Finger blutig. Ranislav gibt den Männern alles, was er hat – damit sie das Haus verlassen und mich nicht entdecken. Er erzählt ihnen sogar von einem vergrabenen Schatz, um die Seeräuber fortzulocken. Doch die Männer schlagen ihn nieder. Er fällt gegen die Wand.
Dann öffnet sich die Tür. Ein weiterer Mann erscheint. Er hat sein Gesicht hinter einer Wolfsmaske verborgen. In der Hand hält er einen Bogen. Er baut sich vor Ranislav auf – und nimmt die Maske ab. Ich erstarre. Es ist Tetĕslav, der Mann, der kurz zuvor bei meinem Vater um meine Hand angehalten hat. Ich mag ihn nicht, auch ohne die Maske hat
er etwas Finsteres an sich. Und ich weiß, mein Vater traut ihm nicht.
Tetĕslav verhüllt sein Gesicht wieder und zieht einen Pfeil aus seinem Köcher. Er legt auf Vater an und
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