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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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den Rücken zugekehrt hatten, protestierten gegen die Unterbrechung. Es entstand eine allgemeine Unruhe, die schließlich auch den Hohepriester erreichte. Er hielt in seiner Bewegung inne und schaute sich verärgert um.
    Als einige Männer Teška den Weg versperren wollten, stieß sie spitze Schreie aus. Helgi sprang auf und zog sein Schwert.
    «Jesus!», rief Ansgar. «Wenn du das tust, wirst du sterben!»
     
    Auf dem Opferhügel hatte sich der Hohepriester mit wutverzerrtem Gesicht erhoben.
    Teška kämpfte sich schreiend durch die Menge. Da begannen die ersten Kinder zu brüllen; auch unter den Erwachsenenmachte sich Panik breit. Die Menschen waren so sehr von der Zeremonie gefangen gewesen, dass die unerwartete Störung für große Verunsicherung sorgte, und als Teška sich endlich durch die Menge gerungen hatte und vor die flackernden Muldenfeuer sprang, kam ihnen die kurzhaarige Frau wie eine bösartige Erscheinung vor.
    Blankes Entsetzen griff um sich. Frauen flohen mit ihren Kindern den Hang hinunter, die Männer folgten ihnen. In Windeseile leerte sich die Opferstätte.
    Nur der Hohepriester blieb zurück. Als er Teška gewahr wurde, die sich ihm mit hasserfülltem Gesicht näherte, verschwand alle Überheblichkeit aus seinen Zügen. Er wich einen Schritt zurück, das Messer auf sie gerichtet.
    Teška ließ sich davon nicht beeindrucken. Obwohl der Hohepriester sie um zwei Köpfe überragte, kam sie näher. Der Priester machte einen weiteren Schritt rückwärts, als sich mit einem Mal seine Miene veränderte. Die Furcht wich einem überheblichen Grinsen.
    Er hatte die Angreiferin wiedererkannt, und vor der Tochter seines alten Feindes Ranislav würde er nicht zurückweichen.
    Teška war nur noch drei Schritte von ihm entfernt, als er auf sie zuschnellte. Die Messerklinge blitzte auf.
    Helgi hastete ungeachtet der Schmerzen in seinem Bein so schnell er konnte den Hügel hinauf. Doch er war noch immer zu weit entfernt, um rechtzeitig bei Teška zu sein. Er würde zu spät kommen.
    Plötzlich hielt der Priester inne und drehte sich überrascht um. Sein Umhang war in das Feuer geraten. Flammen züngelten an ihm empor. Er griff hinter sich und risssich den brennenden Stoff vom Leib; dabei entglitt das Messer seiner Hand.
    Teška nutzte die Ablenkung. Sie trat dem Mann mit voller Wucht zwischen die Beine. Der Hohepriester brüllte vor Schmerz, verlor das Gleichgewicht und stürzte den Abhang hinunter.
    Helgi, der Teška in dem Moment erreichte, sah noch, wie der Priester am Fuß des Hügels zu einem weißen Pferd eilte, das an einem Baum angebunden war. Er saß auf, galoppierte mit dem Schimmel davon. Kurz darauf hatte die Nacht ihn verschluckt.
    Helgi trat neben Teška, die ihn jedoch nicht zu bemerken schien. Sie starrte das Mädchen an, das sich aufgesetzt hatte. Das helle Haar fiel über ihre Schultern wie ein Schleier. Es erwiderte Teškas Blick aus stahlblauen Augen. Helgi roch einen süßlichen, betörenden Duft, der das Mädchen umgab.
    Teška streckte ihre rechte Hand nach dem Mädchen aus. Anstatt danach zu greifen, sprang das Mädchen jedoch auf und lief in die Nacht davon.
    Helgi schaute ihr fassungslos hinterher. «War das ein Geist?», fragte er.
    Teška sagte eine Weile nichts. Nur ihr Atem war zu hören. Dann flüsterte sie: «Nein, das war Žiliška – meine Schwester.»
    «Duša!», rief mit einem Mal eine Stimme aus der Dunkelheit.
    Dann trat ein kleiner dicker Mann in die Opferstätte. Er war glatzköpfig. Sein breites, rundliches Gesicht wurde von einem langen Schnurrbart, der dem des Hohepriesters ähnelte, dominiert.
    «Duša!», rief er immer wieder. «Duša! Duša!»
    Tränen kullerten über seine Wangen, als er Teška so fest in seine Arme schloss, als wolle er sie nie wieder loslassen, und dann begann auch sie zu weinen.
    Ansgar trat neben Helgi. «Was geht hier vor sich?»
    Helgi schüttelte den Kopf. Er hatte nicht den Schimmer einer Ahnung.

13.
    Der glatzköpfige Rane hieß Damek und beherrschte zu Helgis Überraschung die nordische Sprache. Dies demonstrierte er ihnen auch gleich, indem er redete wie ein Wasserfall, während er die drei zurück nach Ralsvik führte. Teška, deren Hand er nicht losließ, nannte er immer wieder «Duša», was in der Sprache der Ranen ‹Seele› bedeutete.
    «Wir haben geglaubt, sie wäre tot», sagte er. «Oh, meine Duša! Ich kenne sie seit ihrer Geburt. Früher war ich der
toblac,
der oberste Zauberer von Ralsvik, müsst ihr wissen. Das war, als

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