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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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tätschelte seinen tätowierten Arm. Er wandte sich an mich: »Als Junge bin ich total auf Comics abgefahren, besonders Popeye. Und eines Abends, als ich noch ein Lausebengel an der Highschool war, bin ich mit Freunden nach Long Beach rausgefahren, und dort im Pike-Freizeitpark hab ich mir diesen Mist auf den Arm tätowieren lassen. Meine Mutter hätte mir fast das Fell über die Ohren gezogen.«
    »Wie geht's deiner Mama?«
    »Hält sich ganz wacker«, antwortete Nemerov. »Nächsten Monat wird sie dreiundsiebzig.«
    »Sag ihr schöne Grüße vo n mir.«
    »Werde ich tun, Milo. Sie hat dich immer gemocht. Also… weshalb bist du hier?« Nemerov lächelte wie ein übergewichtiger Engel.
    »Ich habe in ein paar alten Akten rumgekramt, und dabei bin ich auf den Fall deines Vaters gestoßen.«
    »Ach ja?«, meinte Nemerov. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Willie Burns' Name ist im Zusammenhang mit einem anderen Mord aufgetaucht.«
    »Was du nicht sagst.« Nemerov verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Das Lächeln war erstorben. »Na, das würde mich nicht überraschen. Der Kerl war der letzte Abschaum. Willst du etwa sagen, dass er hier irgendwo gesichtet worden ist?«
    »Nein«, antwortete Milo. »Der andere Fall ist genauso alt und kalt. Sogar noch älter als der von deinem Vater.«
    »Und das ist nie ans Licht gekommen, während ihr Jungs nach diesem Mörderschwein gefahndet habt?«
    »Nein, Georgie. Burns gehört nicht offiziell zu den Verdächtigen in dem anderen Fall. Sein Name ist bloß bei den Ermittlungen aufgetaucht, das ist alles.«
    »Ich verstehe«, meinte Georgie. »Oder vielmehr, ich verstehe nicht.« Er drehte die Handflächen nach oben, und seine Unterarmmuskeln wölbten sich. »Was denn, schiebt ihr dort um die Ecke inzwischen so eine ruhige Kugel, dass sie euch schon auf Geisterjagd schicken?«
    »Tut mir Leid, dass ich wieder mit der alten Scheiße anfange, Georgie.«
    »Was soll's, Milo, wir machen alle nur unsere Arbeit. Damals war ich noch ein junger Bursche, frisch auf dem Cal State College in Northridge, und ich wollte Anwalt werden. Stattdessen hab ich das hier gekriegt.« Er spreizte seine Wurstfinger.
    Milo sagte: »Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass ihr in der Zwischenzeit nicht doch noch Wind von Burns gekriegt habt.«
    Nemerovs Augen waren jetzt aschfarbene Schlitze. »Du glaubst, ich würde es dir nicht sagen, wenn es so wäre?«
    »Das würdest du ganz bestimmt, aber…«
    »Wir halten uns an die Gesetze, Milo. Unser Lebensunterhalt hängt davon ab.«
    »Das weiß ich doch, Georgie. Tut mir Leid.«
    Georgie nahm sein Sandwich in die Hand. »Also, wen hat Burns denn noch umgenietet?«
    Milo schüttelte den Kopf. »Es ist noch zu früh, um das zu verraten. Als ihr nach ihm gesucht habt, seid ihr da irgendwelchen einschlägig bekannten Komplizen auf die Spur gekommen?«
    »Nein«, antwortete Nemerov. »Der Scheißkerl war ein Einzelgänger. Ein Kiffer, ein Penner und ein Stück Scheiße. Heute würden diese blöden Säcke von der Rechtshilfe ihn einen armen, bedauernswerten obdachlosen Mitbürger nennen und dich und mich dazu verdonnern wollen, ihm die Miete zu zahlen.« Er verzog den Mund. »Ein Penner. Mein Vater hat ihn immer mit Respekt behandelt, und so hat der Drecksack es ihm gedankt.«
    »Eine Affenschande«, sagte Milo.
    »Das kannst du laut sagen. Die Sache stinkt zum Himmel, auch noch nach all den Jahren.«
    »Dein Dad war ein guter Mensch, Georgie.«
    Neme rov richtete seine grauen Schlitze auf mich. »Mein Vater konnte in den Menschen lesen wie in einem Buch, Doktor. Besser als jeder Seelenklempner.«
    Ich nickte und dachte: Boris Nemerov hatte Willie Burns auf die schlimmstmögliche Weise missdeutet.
    Georgie legte seinen fleischigen Arm auf den Tresen und ließ mich einen warmen Hauch von Knoblauch und Senf einatmen.
    »Er konnte sie alle lesen, mein Dad, aber er war, verdammt noch mal, zu gut, zu weichherzig. Meine Mom hat sich mit Selbstvorwürfen gequält, weil sie ihn nicht davon abgehalten hatte, sich an diesem Abend mit dem Dreckskerl zu treffen. Ich hab ihr gesagt, sie hätte ja doch nichts tun können; wenn Dad sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nicht mehr aufhalten. Das hat ihm unter den Kommunisten das Leben gerettet. Ein Herz aus Gold, aber auch ein gewaltiger Dickschädel. Burns, dieser Drecksack, war ein Loser und ein Lügner, aber er war noch immer zu seinen Verhandlungen erschienen, also warum sollte mein Dad nicht

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