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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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einem Blatt Papier zurück, das er auf den Tresen legte.
    Wilbert Lorenzo Burns' Fahndungsfoto. Aufnahmen von vorne und im Profil, die übliche Halskette mit Nummernschild. Mittelbraune Gesichtshaut, wohlgeformte Züge, weich und jugendlich man hätte das Gesicht geradezu sympathisch nennen können, wäre da nicht der leere Fixerblick gewesen. Burns' langes Haar stand in wolligen Büscheln vom Kopf ab, als hätte jemand daran gezogen. Laut Beschreibung war er ein Meter fünfundachtzig groß, fünfundsiebzig Kilo schwer und hatte Narben von Messerstichen an beiden Unterarmen und am Nacken. Keine Tätowierungen. Gesucht wegen Vergehen Nr.
    11375,836.3 und 187. Drogenbesitz und Handel; Flucht aus Polizeigewahrsam; Mord.
    »Manchmal muss ich an ihn denken«, sagte Georgie, während er an seinem feuchten Sandwich kaute. »Vermutlich ist er tot. Er war ein Junkie, was haben diese durchgeknallten Typen schon für eine Lebenserwartung? Aber wenn ihr was anderes rausfindet, sagt mir Bescheid.«

18
    Als wir das Kautionsbüro verließen, fuhr gerade ein Hilfspolizist mit seinem Gokart hinter dem Seville rechts ran. Milo sagte: »Sehen wir zu, dass wir wegkommen«, und wir rannten zum Wagen. Der Hilfspolizist stieg mit seinem kleinen computerisierten Folterinstrument aus, aber ich fuhr los, bevor er irgendetwas eintippen konnte.
    »Das war knapp«, sagte Milo.
    »Ich dachte, du hättest Einfluss«, erwiderte ich.
    »Einfluss ist etwas Vergängliches.«
    An der nächsten Ecke bog ich ab und fuhr zurück in Richtung Revier.
    »Also, was denkst du?«, fragte er.
    »Worüber?«
    »Über Georgies Benehmen.«
    »Ich kenne Georgie doch gar nicht.«
    »Trotzdem.«
    »Er schien nervös zu werden, als du auf Burns zu sprechen kamst.«
    »Ja, und wie. Normalerweise ist er die Ruhe in Person, man hört ihn nie fluchen. Aber diesmal hat er ja mit Obszö nitäten nur so um sich geworfen.«
    »Vielleicht hat es ihn aufgewühlt, über seinen Vater zu sprechen.«
    »Vielleicht.«
    »Du fragst dich, ob er Burns beiseite geschafft hat. Aber es ist eher unwahrscheinlich, dass du das je erfahren wirst.«
    »Ich dachte, es sei deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es den Leuten besser geht.«
    »Läuterung durch Einsicht«, sagte ich, während ich neben dem Personalparkplatz des Westside-Reviers anhielt und in den Leerlauf schaltete. Milo blieb sitzen, die langen Beine hochgezogen, die Hände flach auf den Sitz gelegt.
    »Scheiß auf Schwinn«, sagte er schließlich.
    »Das wäre einfach«, sagte ich, »wenn es tatsächlich um Schwinn ginge.«
    Er starrte mich finster an. »Noch eine Dosis Läuterung?«
    »Wozu hat man schließlich Freunde?«
    Ein paar Minuten später: »Warum die Mordakte? Wenn er wirklich helfen wollte, musste er mich doch bloß anrufen und mir die Fakten durchgeben.«
    »Vielleicht steckt hinter dem Album mehr als nur das Foto von Janie.«
    »Zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht, aber es könnte sich lohne n, noch einmal genauer hinzusehen.«
    Er gab keine Antwort. Machte keine Anstalten auszusteigen.
    »Also«, sagte ich.
    »Also… Ich hab mir gedacht, wir könnten doch bei Achievement House vorbeischauen, einfach mal sehen, was so die neuesten Trends in der Sonderpädagogik sind.«
    »Du bist also noch dabei.«
    »Ich weiß nicht, was ich bin.«
    Ich fuhr auf dem Pico Boulevard ostwärts bis Motor, raste an Rancho Park vorbei und nach Cheviot Hills rein. Bei Tageslicht sah Achievement House auch nicht viel beeindruckender aus. Der helle Außenputz, den ich in der Nacht gesehen hatte, war himmelblau. Der Parkplatz war ein wenig voller als in der Nacht, und ungefähr ein Dutzend Heranwachsende standen in lockeren Grüppchen herum. Sie schenkten uns so gut wie keine Beachtung, als wir am Bordstein hielten. Die Jugendlichen waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen, von bleichen Gruftis mit schwarzen Lippen bis hin zu geschniegelten Poppern, die einer Familienserie der Fünfziger entsprungen schienen.
    Milo klingelte am Eingangstor, und wir wurden mittels eines elektronischen Türöffners eingelassen, ohne dass jemand nachfragte. Wir klingelten noch einmal, und die Haustür wurde geöffnet.
    Die Eingangshalle roch nach Duftspray und Maischips. Der Empfangstresen zur Rechten und eine Bürotür mit der Aufschrift Verwaltung waren durch einen Korridor getrennt, der sich zu einem dezent beleuchteten Wartebereich öffnete, in dem niemand wartete. Cremefarbene Wände, an denen Blumenbilder in Chromrahmen hingen, pflaumenblauer

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