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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Teppichboden, säuberlich arrangierte Zeitschriften auf Teaktischchen, zu weiche Sessel mit Polsterbezügen in gebrochenem Weiß. Durch die gläserne Doppeltür im hinteren Teil des Eingangsbereichs sah man einen weiteren Korridor, in dem dann und wann die schlaksige Gestalt eines Juge ndlichen vorüberhuschte.
    Die Empfangsdame war eine junge Inderin in einem pfirsichfarbenen Sari. Der Anblick von Milos Marke schien sie zu überraschen, aber nicht zu beunruhigen.
    »Und worum geht es, bitte?«, fragte sie freundlich.
    »Wir möchten eine Erkundigung einholen«, antwortete Milo mit geradezu überschwänglichem Charme. Während der Fahrt hatte er in angespanntem Schweigen verharrt, aber jetzt war er wie ausgewechselt. Er hatte sich die Haare gekämmt und seine Krawatte zurechtgerückt, und er wirkte wie ein Mann, der sich auf irgendetwas freut.
    »Eine Erkundigung?«, wiederholte sie.
    »Wir möchten einen Blick in Ihre Schülerkartei werfen, Ma'am.«
    »Ich sage Ms. Baldassar Bescheid. Sie ist unsere Direktorin.« Sie ging hinaus, kam kurz darauf zurück und sagte: »Sie werden erwartet.« Dabei deutete sie auf die Tür auf der anderen Seite des Korridors. Wir betraten ein Vorzimmer, und eine Sekretärin geleitete uns durch eine weitere Tür in ein ordentlich aufgeräumtes Zimmer, in dem eine aschblonde Frau von Mitte vierzig an einem Schreibtisch saß und eine Zigarette ausdrückte. Milo zückte seine Dienstmarke, und die Frau sagte: »Marlene Baldassar.« Sie war mager und hohlwangig, ihre Haut braun gebrannt und mit Sommersprossen übersät. Die Augen waren goldbraun, das Kinn spitz. Ihr marineblaues, unten ausgestelltes Kleid war weiß paspeliert und beulte sich über ihren hageren Formen aus. Das aschblonde Haar war im Nacken gerade geschnitten, in der Stirn zu einem Pony gefranst. Sie trug einen goldenen Ehering und eine große schwarze Plastik-Taucheruhr. An einer Kette um ihren Hals hing eine Brille mit Schildpattgestell. Der große gläserne Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch war zur Hälfte mit lippenstiftverschmierten Kippen gefüllt. Er trug die Aufschrift Miranda Hotel, Las Vegas. Die restliche Arbeitsfläche war mit Büchern, Papieren und gerahmten Fotos ausgefüllt. Und einer silbrig glänzenden Mundharmonika.
    Sie sah, dass mein Blick auf das Instrument fiel, hob es mit zwei Fingern auf, blies zweimal hinein und legte es lächelnd wieder hin. »Zur Entspannung, ich will mir das Rauchen abgewöhnen. Mit mäßigem Erfolg, wie man sieht.«
    »Alte Gewohnheiten«, sagte ich.
    »Sehr alt. Und ich habe es auch schon mit Nikotinpflastern versucht. Alle Sorten. Meine DNA ist wahrscheinlich schon mit Nikotin gesättigt.« Sie fuhr mit der Fingerspitze über die Kante der Mundharmonika. »Also, was hat mir Shoba da über eine polizeiliche Erkundigung erzählt? Hat einer unserer ehemaligen Schüler Ärger gemacht?«
    »Die Möglichkeit scheint Sie nicht zu überraschen«, sagte Milo.
    »Ich arbeite seit knapp zwanzig Jahren mit Kindern und Jugendlichen. Mich kann kaum noch etwas überraschen.«
    »Zwanzig Jahre hier im Haus, Ma'am?«
    »Drei hier, siebzehn bei der Regierung - Jugendstrafvollzug, Psychiatrie, Projekte zur Gewaltprävention.«
    »Eine willkommene Veränderung?«, fragte ich.
    »Im Großen und Ganzen, ja«, antwortete sie. »Aber die staatliche Jugendarbeit konnte auch Spaß machen. Viel vergebliche Mühe, aber wenn man einmal auf eine Perle in dem ganzen Müllhaufen stößt, is t es ungeheuer aufregend. Die Arbeit hier ist extrem eintönig. Im Allgemeinen sind die Jugendlichen ganz in Ordnung. Verwöhnt, aber ansonsten in Ordnung. Unser Spezialgebiet sind schwere Lernstörungen, chronisches Schulversagen, Legasthenie, Jugendliche die mit dem ganzen Erziehungssystem nicht klarkommen. Wir haben ein klar definiertes Ziel: Wir versuchen, sie so weit zu bringen, dass sie in der Lage sind, das Kleingedruckte zu lesen, wenn sie ihr Treuhandvermögen überschrieben bekommen. Wenn ihre Erkundigung also einen meiner derzeitigen Schützlinge betrifft, würde mich das sehr überraschen. Wir lassen die Finger von Jugendlichen mit gefährlichen antisozialen Tendenzen, die binden einfach zu viel Personal.«
    »Sind die Jugendlichen hier rund um die Uhr eingesperrt?«, fragte Milo.
    »Um Gottes willen, nein«, antwortete sie. »Das hier ist kein Gefängnis. Die Schüler fahren am Wochenende heim und können sich zusätzlich Urlaub verdienen. Also, um wen geht es?«
    »Eigentlich ist es fast schon ein

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