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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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wahr, die scheinbar keinen Sinn ergeben, wenn aber alles seinen Sinn hat, wie soll dann nicht auch dies den Sinn haben, den alles andere hat? Wir sehen den Sinn, nicht aber den Plan; wie also können wir dann sagen, gewisse Dinge gehorchten keinem Plan, wenn wir den Plan gar nicht kennen? So wie ein Dichter subtiler Rhythmen zu rhythmischen Zwecken einen arhythmischen Vers einfügen kann, das heißt genau zu dem Zweck, von dem er sich anscheinend entfernt, und ein Kritiker, puristisch eher auf Gleichförmigkeit als auf Rhythmus bedacht, diesen Vers als verfehlt bezeichnet, so kann auch der Schöpfer einfügen, was unser begrenzter Verstand als arhythmisch im majestätischen Verlauf eines methaphysischen Rhythmus ansieht.
    Ich lasse auch nicht, wie ich bereits sagte, das Argument vom nicht gütigen Uhrmacher gelten. Es ist zugegebenermaßen schwieriger zu widerlegen, wenngleich auch nur scheinbar. Wir könnten sagen, so wenig wie wir wissen, was das Böse ist, so wenig können wir mit Gewißheit sagen, ob etwas gut oder böse ist. Sicher indessen ist, daß ein Schmerz, wenn auch zu unserem Guten, an sich ein Übel ist, was wiederum Beweis genug ist für das, was wir als böse empfinden auf der Welt. Ein schmerzender Zahn reicht, um an der Güte des Schöpfers zu zweifeln. Nun, der fundamentale Irrtum an diesem Argument scheint in unserer völligen Unkenntnis des göttlichen Plans zu liegen sowie in unserer Unkenntnis dessen, was das geistig Unendliche als intelligentes Wesen sein mag. Die Existenz des Bösen ist eines, die Ursache für seine Existenz etwas anderes. Die Unterscheidung ist vielleicht derart subtil, daß sie sophistisch erscheinen mag, sicher aber ist, daß sie richtig ist. Die Existenz des Bösen kann nicht geleugnet werden, wohl aber, daß die Existenz des Bösen böse ist. Ich gestehe, das Problem besteht weiter, jedoch nur, weil unsere Unvollkommenheit weiterbesteht.

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    Wenn es etwas gibt, was dieses Leben uns gewährt und wofür wir den Göttern, abgesehen von Leben selbst, danken sollten, so ist es die Gabe der Unkenntnis: wir kennen weder uns selbst noch kennen wir einander. Die menschliche Seele ist ein dunkler, schleimiger Abgrund, ein Brunnen, aus dem man an der Oberfläche der Welt nie schöpft. Niemand liebte sich selbst, kennte er sich wirklich, und ohne diese aus der Unkenntnis resultierende Eitelkeit, die das Blut unseres geistigen Lebens ist, stürbe unsere Seele an Anämie. Niemand kennt den anderen, und es ist gut, daß dem so ist, denn kennte er ihn, würde er in ihm, selbst in seiner Mutter, seiner Frau oder seinem Kind, den metaphysischen Intimfeind erkennen.
    Wir verstehen einander, weil wir kaum voneinander wissen. Was würde aus so manch glücklichem Paar, wenn der eine in die Seele des anderen sehen könnte, wenn sie einander verstehen könnten, wie die Romantiker sagen, nicht ahnend, welche wenn auch nichtige Gefahr von ihren Worten ausgeht. Keine Ehe der Welt ist wirklich gut, denn jeder der Eheleute trägt tief verborgen in seinem Inneren, dort, wo die Seele dem Teufel gehört, das subtile Bild des Idealmannes, das nichts mit dem Ehemann gemein hat, die stets wechselnde Gestalt der sublimen Frau, die seine Gefährtin nicht darstellt. Die Glücklicheren sind sich ihrer nicht erfüllten Neigungen nicht bewußt; die weniger Glücklichen sind sich ihrer bewußt, aber gestehen sie sich nicht ein; nur der eine oder andere unartikulierte Ausbruch, nur die eine oder andere Schroffheit ruft beiläufig und oberflächlich durch Gesten und Worte den verborgenen Dämon, die alte Eva, den edlen Ritter oder die Sylphide wach.
    Das von uns gelebte Leben ist ein fließendes Mißverständnis, eine heitere Mitte zwischen der Größe, die es nicht gibt, und dem Glück, das es nicht geben kann. Wir sind zufrieden, denn selbst fühlend und denkend sind wir imstande, nicht an die Existenz der Seele zu glauben. Auf dem Maskenball, der unser Leben ist, genügt uns die gefällige Maskerade, denn nur sie zählt auf diesem Ball. Wir sind Sklaven von Licht und Farbe, wir bewegen uns im Tanz wie in der Wahrheit, und wir spüren nicht einmal – es sei denn, wir stehen allein da und tanzen nicht – die eisige Kälte der hohen äußeren Nacht, des sterblichen Körpers unter den Lumpen, die ihn überleben, all dessen, was wir, allein mit uns, für unser eigentliches Wesen halten und das letztlich nicht mehr ist als eine innere Parodie unseres für wahr erachteten Ichs.
    Alles, was wir tun oder sagen,

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