Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
mitleidigen Seele lagen. Die Beziehung zwischen menschenfreundlicher Gesinnung und Tresterschnaps ist seit eh und je unmittelbar, und so manch große Geste wurde schon durch ein Glas zuviel geschmälert oder einen pleonastischen Durst.
Diese Herrschaften hatten allesamt ihre Seele an einen Teufel aus dem Höllenplebs verkauft, der nach Niedertracht und Trägheit gierte. Sie lebten süchtig nach Eitelkeit und Müßiggang und starben ermattet zwischen Kissen aus Worten, zerquetscht wie giftspritzende Skorpione.
Das Außergewöhnlichste an all diesen Leuten war ihre in jeder Hinsicht vollkommene Bedeutungslosigkeit. Einige schrieben für die wichtigsten Zeitungen und schafften es, nicht zu existieren; andere bekleideten öffentliche Ämter, standen in den Jahrbüchern an oberster Stelle und schafften es, im Leben nichts darzustellen; andere waren sogar anerkannte Dichter, doch ihre dümmlichen Gesichter erbleichten unter ein und demselben aschgrauen Staub, und sie nahmen sich allesamt aus wie ein Grabmal starrer Mumien, aufrecht, mit einer Hand auf der Schulter, in der Haltung von Lebenden.
Von der kurzen Zeit, die ich in diesem Exil geistiger Beweglichkeit verharrte, ist mir die Erinnerung an einige gute und wahrhaft vergnügliche Augenblicke geblieben, an viele eintönige und traurige, an aus dem Nichts hervorstechende Profile, an Handbewegungen, die den zufällig bedienenden Kellnerinnen galten und, alles in allem, an einen ekelerregenden Überdruß und den einen oder anderen geistreichen Witz.
Dazwischen, wie Leerräume, einige Männer reiferen Alters, die sich mit ihren altmodischen Bonmots ebenso abfällig wie die anderen äußerten, und über die gleichen Leute.
Nie habe ich so viel Sympathie für die unteren Ränge der Prominenz empfunden wie, als ich sie von diesen Wichten verleumdet sah, die ihnen ihren armseligen Ruhm neideten. Ich verstand, warum diese Parias der Größe triumphieren können: ihr Triumph ist ein Triumph über diese Menschen und nicht über die Menschheit.
Arme Teufel, ewige Hungerleider – hungernd nach Berühmtheit, hungernd nach dem Mittagessen oder dem Nachtisch des Lebens. Wer sie hört und nicht kennt, glaubt die Lehrmeister Napoleons und die Präzeptoren Shakespeares zu vernehmen.
Manche siegen in der Liebe, andere in der Politik und wieder andere in der Kunst. Erstere haben den Vorteil, etwas erzählen zu können, weil man in der Liebe auf der ganzen Linie siegen kann, ohne über das, was wirklich geschieht, sonderlich Bescheid zu wissen. Freilich überkommt uns, wenn eines dieser Individuen seine sexuellen Marathonläufe zum besten gibt, im Augenblick der siebenten Entjungferung ein undeutliches Mißtrauen. Die Liebhaber adliger oder prominenter Damen (und dies betrifft nahezu alle) haben einen derartigen Verschleiß an Gräfinnen, daß eine Statistik ihrer Eroberungen selbst die Tugend und Schicklichkeit der Urgroßmütter unserer heutigen Titelträgerinnen nicht unberührt ließe.
Andere sind auf körperliche Auseinandersetzungen spezialisiert und haben alle Boxmeister Europas während einer nächtlichen Lustbarkeit an einer Straßenecke des Chiado [50] zusammengeschlagen. Einige haben Einfluß auf alle Minister aller Ministerien, sie sind am wenigsten zweifelhaft, da man ihnen ohne weiteres glaubt.
Einige sind große Sadisten, andere große Päderasten, wieder andere bekennen traurig, aber lauthals, daß sie brutal gegen Frauen sind. Sie treiben sie vorwärts mit Peitschenhieben auf den Wegen des Lebens. Und dann zahlen sie nicht einmal ihren Kaffee.
Manche sind Dichter, manche sind […]
Ich kenne kein besseres Mittel gegen diese Ansammlung von Schatten als die unmittelbare Kenntnis des menschlichen Alltagslebens, zum Beispiel in der Realität des Handels, wie sie sich in meinem Büro in der Rua dos Douradores darbietet. Mit welcher Erleichterung bin ich aus diesem Irrenhaus von Marionetten in die wirkliche Gegenwart meines Vorgesetzten Moreira zurückgekehrt, eines echten, kompetenten Buchhalters, der, schlecht gekleidet und schlecht behandelt, dennoch ist, was keiner der anderen zu sein vermochte: ein Mensch …
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16 . 12 . 1931
Heute ist er für immer dahin zurück, wo er herkam, der sogenannte Dienstmann des Büros, derselbe Mann, den ich bereits als Teil dieser menschlichen Zunft betrachtet habe und folglich als Teil meiner selbst und meiner Welt. Heute hat er uns verlassen. Auf dem Korridor, wo wir uns zufällig zur erwarteten Überraschung des
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