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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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geschlafen habe, sondern weil ich nicht schlafen konnte.
    Es gibt Tage, die sind philosophische Einsichten, Tage, die uns Deutungen des Lebens nahelegen, Randbemerkungen voll großartiger Kritik im Buch unseres universalen Schicksals. Ich empfinde diesen Tag als einen solchen. Und habe den absurden Eindruck, meine schweren Lider und mein nichtiges Gehirn schreiben, wie mit einem absurden Bleistift, Buchstabe um Buchstabe diesen nutzlosen, tiefsinnigen Kommentar.

283
    Freiheit ist die Möglichkeit zur Isolation. Du bist frei, wenn du dich von den Menschen fernhalten kannst und nichts dich zwingt, ihre Nähe zu suchen, weder Geld noch Herdentrieb, weder Liebe, Ruhm noch Neugier, die in Stille und Einsamkeit keine Nahrung finden können. Ist es dir unmöglich, allein zu leben, bist du zum Sklaven geboren. Du kannst alle Geistes- und Seelengröße besitzen und bist doch Sklave, ein nobler und kluger vielleicht, aber kein freier Mensch. Sieh dies nicht als deine Tragödie an, deine Geburt ist allein die Tragödie des Schicksals. Doch wehe dir, wenn das Leben dich so knechtet, daß du gezwungen bist, Sklave zu sein. Wehe dir, wenn die Not dich, obwohl frei geboren und fähig, dir zu genügen und allein zu sein, zum Leben mit anderen zwingt. Das, ja, das ist deine Tragödie, und sie folgt dir auf Schritt und Tritt.
    Frei geboren zu sein verleiht einem Menschen erhabene Größe, erhebt den untertänigen Eremiten über Könige und selbst Götter, die sich in ihrer Macht selbst genügen, nicht aber in der Verachtung dieser Macht.
    Der Tod ist eine Befreiung, denn wer tot ist, braucht niemanden mehr. Der armselige Sklave sieht sich gezwungenermaßen befreit von seinen Freuden, seinen Kümmernissen, seinem ersehnten und gleichmäßig verlaufenden Leben. Auch der König ist befreit von seinem Besitz, von dem er nicht lassen wollte. Und die Frauen, die verführten, sind befreit von ihren Triumphen, für die sie alles taten. Die Sieger sind befreit vom Siegen, dem ihr Leben gewidmet war.
    Der Tod adelt, er hüllt den armen absurden Leib in ein nie gekanntes Festgewand. Im Tod ist der Mensch frei, selbst wenn er nie frei sein wollte. Im Tod ist er kein Sklave mehr, auch wenn er weinte, als man ihn aus der Sklaverei erlöste. Wie ein König, dessen prächtigster Schmuck sein königlicher Titel ist und der als Mensch noch so lächerlich sein mag, als König aber erhaben, so mag ein Toter noch so verunstaltet sein, ist aber dennoch erhaben, weil der Tod ihn befreit hat.
    Müde schließe ich die Fensterläden, schließe die Welt aus und bin für einen Augenblick frei. Morgen werde ich wieder Sklave sein; jetzt aber, allein, niemanden benötigend, nur fürchtend, eine fremde Stimme oder Gegenwart könne mich stören, erlebe ich meine kleine Freiheit, meine Augenblicke »in excelsis«.
    Zurückgelehnt auf meinem Stuhl, vergesse ich das Leben, das mich knechtet. Es schmerzt mich nicht mehr, nur noch, daß es mich geschmerzt hat.

284
    Rühren wir nicht am Leben, nicht einmal mit den Fingerspitzen!
    Nur nicht lieben, nicht einmal in Gedanken!
    Einen Frauenkuß fühlen? Nie! Nicht einmal im Traum!

    Handwerker des Morbiden, seien wir den anderen Meister im Unterweisen, Illusionen aufzugeben! Neugierige des Lebens, laßt uns hinter alle Mauern spähen, ermüdet schon im voraus vom Wissen, daß wir weder Neues noch Schönes entdecken werden!
    Weber der Hoffnungslosigkeit, laßt uns nur Leichentücher weben – weiße Leichentücher für die Träume, die wir niemals geträumt haben, schwarze Leichentücher für die Tage, an denen wir gestorben sind, graue Leichentücher für die Gesten, die wir nur geträumt haben, und kaiserlich purpurne für unsere unnützen Empfindungen!
    In den Eichenwäldern, den Tälern und längs […] der Sümpfe jagen Jäger Wolf, Reh […] und Wildente. Laßt uns die Jäger hassen, nicht weil sie jagen, sondern weil sie sich der Jagd erfreuen (und wir nicht)!

    Unser Gesichtsausdruck möge ein blasses Lächeln sein, wie von einem, der den Tränen nahe ist, ein flüchtiger Blick, wie von einem, der nicht sehen will, eine in jedem Gesichtszug sichtbare Verachtung, wie von einem, der das Leben verachtet und nur lebt, um es zu verachten!
    Und möge unsere Verachtung all denen gelten, die arbeiten und kämpfen, und unser Haß all denen, die hoffen und vertrauen!

285
    20 .  12 .  1931
    Ich bin fast überzeugt, daß ich nie wach bin. Ich weiß nicht, ob ich nicht träume, wenn ich lebe, ob ich nicht lebe, wenn ich

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