Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Sehnsucht, ein letzter Sonnenstrahl über entlegenen Bergen, ein Wind, der Blätter aufwirbelt an einer verlassenen Schwelle, eine niemals aufgedeckte Verwandtschaft, die Orgie der anderen, die Frau, von der wir zu wissen meinen, daß sie sich nach uns umdreht, und die es doch nie geben wird.
Pläne – ich habe alle gehabt! Die Ilias , die ich komponierte, besaß eine strukturelle Logik, eine organische Verbindung der Epoden, wie Homer sie nicht zu erreichen vermochte. Verglichen mit der durchdachten Vollkommenheit meiner ungeschriebenen Verse wirken Vergils Präzision und Miltons Kraft gleichermaßen ärmlich. Meine allegorischen Satiren übertrafen alle Swifts in der symbolischen Genauigkeit ihrer planvoll miteinander verbundenen Details. Wie viele Verlaines bin ich gewesen!
Und immer, wenn ich aus dem Sessel aufstand, wo ich diese Dinge tatsächlich nicht nur geträumt hatte, erlebte ich die doppelte Tragödie, sie als null und nichtig zu erkennen und doch zu wissen, daß sie nicht allesamt Träume waren und daß etwas von ihnen an der abstrakten Schwelle meines Denkens und ihres Seins zurückblieb.
Ich war ein Genie, in mehr als in Träumen und in weniger als im Leben. Das ist meine Tragödie. Ich war der Läufer, der in Führung lag und kurz vor dem Ziel stürzte.
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Gäbe es in der Kunst den Beruf des Vervollkommners, ich hätte im Leben als Künstler eine Funktion …
Einzig das bereits von einem anderen geschaffene Werk vervollkommnen … So entstand vielleicht die Ilias .
Nur nicht als erster schöpferisch sein müssen!
Wie sehr beneide ich all jene, die Romane schreiben, sie beginnen, daran arbeiten und sie abschließen! Ich kann Romane ersinnen, Kapitel für Kapitel, manchmal mit Dialogen und dem, was zwischen den Dialogen steht, doch wäre ich niemals imstande, diese Träume vom Schreiben zu Papier zu bringen […]
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Alles Handeln, sei es im Krieg, sei es im Denken, ist falsch; und jeder Verzicht ist ebenso falsch. Wüßte ich doch, wie man weder handelt noch auf das Handeln verzichtet! Dies wäre die Traumkrone meines Ruhmes, das Schweigezepter meiner Größe.
Ich leide nicht einmal. Meine Verachtung für alles ist so groß, daß ich mich selbst verachte und daß ich, da ich fremdes Leid verachte, auch das meine verachte und so, mit meiner Verachtung, mein eigenes Leid mit Füßen trete.
Doch so leide ich mehr … Denn wer dem eigenen Leid Wert beimißt, vergoldet es mit der Sonne des Stolzes. Wer viel leidet, kann sich in der Illusion wiegen, Auserwählter des Schmerzes zu sein. So […]
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Schmerzhaftes Intervall
Wie jemanden, der nach langem […] von einem Buch aufschaut und das reine, helle Sonnenlicht grell in den Augen spürt, schmerzt und brennt es mich, wenn ich bisweilen von mir selbst aufschaue und sehe, wie klar und deutlich unabhängig von mir das äußere Leben ist, die Existenz der anderen, der Ort und das Zusammenspiel der Bewegungen im Raum. Ich strauchle über die wirklichen Gefühle der anderen, der Antagonismus ihrer und meiner Psyche behindert mich, bringt mich aus dem Tritt. Ich gleite aus und purzle mitten hinein in den Klang ihrer, für meine Ohren befremdlichen Worte, mitten hinein zwischen ihre festen, sicheren Schritte auf diesem Boden hier, ihre wirklichen Gesten, ihre verschiedenen, vielschichtigen Arten, andere zu sein und nicht Spielarten meiner Person.
In diesen Seelen, in die ich mich mitunter stürze, fühle ich mich schutzlos und leer, als sei ich gestorben und lebte zugleich als bleicher, schmerzhafter Schatten fort, den der erste Lufthauch zu Boden wirft, die erste Berührung in Staub auflöst.
Und ich frage mich dann, ob all meine Anstrengung, mich zu isolieren und zu erheben, die Mühe lohnt, ob der langsame Leidensweg, zu dem ich mein Leben gemacht habe, um meines gekreuzigten Ruhmes willen, wirklich die Mühe lohnt? Und selbst wenn ich wüßte, sie lohnt sich, überkommt mich in diesen Augenblicken das Gefühl, sie lohnt sich nicht und wird sich niemals lohnen.
294
Geld, Kinder (Verrückte) […]
Reichtum sollte man nie neiden, allenfalls platonisch; Reichtum ist Freiheit.
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Geld ist schön, es macht frei.
In Peking sterben wollen und dies nicht können gehört zu den Dingen, die auf mir lasten wie der Gedanke an eine bevorstehende Katastrophe.
Die Käufer unnützer Dinge sind klüger, als sie meinen – sie kaufen kleine Träume. Beim Kaufen sind sie Kinder. Wenn Leute mit Geld dem Charme all dieser kleinen, nutzlosen
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