Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
entleerte sich wie ein umgestoßener Eimer und ergoß sich über den Boden wie aller Dinge Wasser. Ich erschuf mich aus falschen Farben, und dies führte unweigerlich in ein Dachstubenreich. Mein Herz, aus dem ich die großen Ereignisse der erlebten Prosa spann, erscheint mir heute, auf diesen vor langem geschriebenen und nun mit anderer Seele wiedergelesenen Seiten, wie eine Wasserpumpe in einem ländlichen Garten, instinktiv installiert und zwangsläufig betätigt. Ich habe auch ohne Stürme Schiffbruch erlitten, auf einem Meer, in dem ich stehen konnte.
Und ich frage das mir verbliebene Bewußtsein in dieser wirren Abfolge von Intervallen zwischen nicht vorhandenen Dingen, wozu ich so viele Seiten mit Sätzen füllte, an die ich als die meinen glaubte, mit Gefühlen, die ich für Gedanken hielt, mit Fahnen und Bannern von Heeren, die letztendlich nur Papier sind, zusammengehalten von der Spucke der Tochter des Bettlers aus der Gosse.
Ich frage das, was von mir übrig ist, nach dem Sinn dieser unnützen Seiten, dem Müll und dem Abwegigen gewidmet und verloren, noch bevor sie zu den zerrissenen Papieren des Schicksals zählten.
Ich frage und ich fahre fort. Ich notiere die Frage, kleide sie in neue Sätze und befreie sie von neuen Emotionen. Morgen werde ich weiterschreiben an meinem törichten Buch und die täglichen Eindrücke meiner fehlenden Überzeugung mit kalter Feder zu Papier bringen.
Mögen sie kommen, wie sie sind. Ist das Domino gespielt und das Spiel gewonnen oder verloren, dreht man die Steine um, und das Spiel ist schwarz.
443
Wie viele Höllen, Purgatorien und Paradiese ich in mir trage! – und doch, wer hat mich jemals etwas tun sehen, das dem Leben abträglich wäre … mich, der ich so ruhig, so friedlich bin?
Ich schreibe nicht portugiesisch. Ich schreibe mich.
444
Alles ist mir unerträglich geworden, bis auf das Leben. Büro, Wohnung, Straßen – ja, selbst ihr Gegenteil, wenn ich es denn hätte – sind mir übergenug und bedrücken mich; nur das Ganze schafft mir Erleichterung. Jawohl, etwas von alledem ist mir Trost genug. Ein Sonnenstrahl, der immerfort in das ausgestorbene Büro scheint; die Litanei eines Straßenverkäufers, die rasch emporsteigt zum Fenster meines Zimmers; die Tatsache, daß es Leute gibt, daß Klima und Wetter sich ändern, die erschütternde Objektivität der Welt …
Der Sonnenstrahl kam plötzlich herein zu mir, der ich ihn plötzlich sah … Ein Strahl fast farblosen, messerscharfen Lichtes, der den schwarzen Holzfußboden zerschnitt und, wo er entlangglitt, die alten Nägel und Vertiefungen zwischen den Bohlen, die schwarzen Linienblätter des Nicht-Weißen, mit Leben erfüllte.
Minutenlang verfolgte ich die unsichtbare Wirkung der in das stille Büro einfallenden Sonne … Kerkerbeschäftigungen! Nur Eingeschlossene schauen dem Lauf der Sonne zu, wie man Ameisen zuschaut.
445
18 . 9 . 1933
Es heißt, der Überdruß sei eine Krankheit der Trägen oder ereile nur Leute, die nichts zu tun haben. Diese Plage der Seele aber ist subtiler: Sie sucht all jene heim, die dafür anfällig sind, und verschont weniger die Arbeitsamen oder die vorgeben, es zu sein (was in diesem Fall auf das gleiche herauskommt), als die wirklich Untätigen.
Nichts ist schlimmer als der Gegensatz zwischen dem natürlichen Glanz des inneren Lebens mit seinen natürlichen Indien und seinen unbekannten Ländern, und dem Schmutz – obgleich er nicht wirklich schmutzig ist – der Alltäglichkeit des Lebens. Der Überdruß wiegt schwerer, wenn es keine Entschuldigung für die Trägheit gibt. Der Überdruß der angestrengt Arbeitenden ist der schlimmste von allen.
Überdruß ist nicht etwa der krankhafte Ärger über mangelndes Tun, sondern das sehr viel krankhaftere Gefühl, daß es nicht lohnt, auch nur irgend etwas zu tun. Und dies bedeutet, je mehr zu tun ist, um so deutlicher macht sich der Überdruß bemerkbar.
Wie oft, wenn ich von meiner Arbeit im Hauptbuch aufsehe, ist mein Kopf weltleer! Es wäre besser für mich, passiv zu sein, nichts zu tun, nichts zu tun zu haben, denn diesen wenn auch echten Überdruß könnte ich zumindest genießen. Mein gegenwärtiger Überdruß entbehrt jeglicher Ruhe, jeglicher Noblesse und jeglichen Wohlseins gepaart mit Unwohlsein: Er ist ein umfassendes Verlöschen dessen, was ich getan habe, und nicht etwa eine denkbare Müdigkeit, die herrührt von dem, was ich nie tun werde.
446
Omar Khayyam [67]
Der Lebensüberdruß
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