Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
diese Methode ist leichter, als es scheint, zumindest für überlegene Menschen. Den Schmerz analysieren, es sich zur Gewohnheit machen, allen Schmerz so lange der Analyse zu unterziehen, bis wir dies instinktiv und ohne daran zu denken tun, bereichert jeden Schmerz um die Freude des Analysierens. Übertreiben wir aber dieses machtvolle, instinktive Analysieren, tilgen wir damit bald alles, und der Schmerz wird nur mehr zu einer für die Analyse unbestimmbaren Substanz.
Eine andere, schwierigere und subtilere Methode besteht darin, allen Schmerz in eine bestimmte Idealgestalt zu kleiden. Sich ein anderes Ich zu erfinden, das die Aufgabe übernimmt, in und für uns zu leiden, was wir erleiden. Und uns dann einen inneren, gänzlich masochistischen Sadismus anzueignen, der sich seines Leidens erfreut, als sei es nicht das seine. Diese Methode, auf den ersten Blick nicht anwendbar, ist für im Selbstbetrug Geübte alles andere als schwer zu befolgen. Und ist das Erstrebte auf diese Weise erreicht, wie schmecken da Schmerz und Leid nach Blut und Krankheit, wie eigentümlich herb nach fremder, verderbter Lust! Der Schmerz wird allmählich übermächtig und beängstigend wie Spasmen. Das Leiden, das lange, langsame Leiden nimmt das vertraute Gelb des unbestimmten Glücks eines tief empfundenen Genesens an. Und eine erlesene Erschöpfung, die einhergeht mit Unruhe und Trauer, verbindet sich mit jener vielschichtigen Empfindung von Angst, die unsere Freude bei dem Gedanken, daß sie uns wieder fliehen könnte, ebenso hervorruft wie jene melancholische Müdigkeit, die wir bei unseren sinnlichen Freuden im voraus empfinden, denken wir nur an die Müdigkeit, die sie mit sich bringen.
Mit einer dritten Methode läßt sich der Schmerz zu Freude verfeinern und aus Zweifeln und Ängsten ein weiches Lager bereiten. Sie besteht darin, unseren Seelenqualen und Leiden durch eine bis zur Erregung gesteigerte Aufmerksamkeit eine so große Intensität zu verleihen, daß uns allein ihre Maßlosigkeit maßlose Freude bereitet, so wie sie auch durch ihre Heftigkeit bei einem, der sich aufgrund von Gewohnheit und Seelenerziehung den Freuden hingibt und verschreibt, Freude bewirkt, die schmerzt, da sie so groß ist, und Lust, die nach Blut schmeckt, da sie verwundet. Und wenn, wie bei mir – einem Verfeinerer falscher Verfeinerungen, einem Architekten, Konstrukt seiner eigenen durch die Intelligenz verfeinerten Empfindungen, durch sein dem Leben Entsagen, durch Selbstanalyse und eigenen Schmerz –, alle drei Methoden zugleich angewandt werden, wenn jeder unmittelbar empfundene Schmerz (so unmittelbar empfunden, daß die Seele sich nicht gegen ihn wappnen kann) bis auf den Grund analysiert, gewaltsam in ein äußeres Ich gesteckt und in mir begraben wird, bis er vor Schmerz vergeht, dann, ja dann fühle ich mich als Triumphator und Held. Dann hört das Leben auf für mich, und die Kunst liegt mir zu Füßen.
All dies ist jedoch erst der zweite Schritt, den der Träumer auf seinen Traum zutun muß.
Den dritten Schritt aber, den, der zur prächtigen Schwelle des Tempels führt – wer außer mir war je imstande, ihn zu tun –, dieser Schritt ist wahrhaft schwer, denn er erfordert eine innere Anstrengung, die weit größer ist als jede Anstrengung in der Wirklichkeit, doch entschädigt er die Seele auf eine so umfassende Weise, wie es das Leben niemals könnte. Dieser Schritt nun – sofern all dies geschehen, all dies einheitlich und bis ins letzte ausgeführt worden ist, ja, wenn meine drei ausgeklügelten Methoden bis zum Gehtnichtmehr angewandt worden sind –, dieser Schritt besteht darin, die Empfindung unmittelbar durch den reinen Verstand gehen zu lassen, sie durch eine höhere Analyse zu filtern, um sie in eine literarische Form zu bringen, mit eigenem Gehalt und Profil. Als nächstes galt es, die Empfindung festzuhalten. Dann habe ich das Unwirkliche wirklich werden lassen und das Unerreichbare auf ein unantastbares Podest gehoben. Dann fand meine Krönung statt, in mir, zum Kaiser.
Ihr dürft nicht glauben, ich schriebe, um zu schreiben, um zu veröffentlichen oder gar um Kunst zu machen. Ich schreibe, weil dies das höchste Ziel ist, der Gipfel der Verfeinerung, die untergründig unlogische Verfeinerung, […] meines Kultivierens von Seelenzuständen. Wenn ich eine meiner Empfindungen nehme und sie dahin gehend entwirre, daß ich aus ihr jene innere Wirklichkeit weben kann, die ich Wald der Entfremdung oder Nie
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