Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
berauben es zugleich allen edlen, reinen Beiwerks, das meist weder das eine noch das andere ist. Man bemerke, meine Objektivität ist absolut, die absoluteste aller Objektivitäten. Ich schaffe das absolute Objekt mit Qualitäten des Absoluten in seinem Konkreten. Ich bin nicht eigentlich vor dem Leben geflohen, insofern, als ich nicht nach einem weicheren Bett für meine Seele gesucht habe, ich habe nur Leben gewechselt und in meinen Träumen die gleiche Objektivität gefunden wie im Leben. Meine Träume – ich gehe darauf näher an anderer Stelle ein – steigen unabhängig von meinem Willen in mir auf und sind oft erschreckend und verletzend für mich. Sehr oft erfüllt mich, was ich in mir entdecke, mit Kummer, mit Scham (vielleicht ein Rest Menschlichkeit in mir – was überhaupt ist Scham?) und mit Schrecken.
Meine ständige Träumerei ist an die Stelle der Aufmerksamkeit getreten. Ich habe mir angewöhnt, Dinge, die ich gesehen habe, auch im Traum, mit anderen Träumen, die ich in mir trage, zu überdecken. Ich bin bereits so unaufmerksam, daß ich »die Dinge im Traum« klar sehen kann, und darüber hinaus, denn diese Unaufmerksamkeit ist in meinen beständigen Tagträumen begründet sowie in einer ebenfalls nicht übermäßig aufmerksamen Sorge um meinen Traumfluß, überdecke ich noch den Traum, den ich sehe, mit dem, was ich träume, und kreuze die bereits ihrer Materie beraubte Wirklichkeit mit einer absoluten Immaterialität.
Daher kann ich auch mehrere Ideen gleichzeitig verfolgen, bestimmte Dinge betrachten und zugleich von ganz unterschiedlichen Dingen träumen, nämlich von einem wirklichen Sonnenuntergang über einem wirklichen Tejo und von einem geträumten Morgen an einem inneren Pazifik; und die beiden geträumten Dinge überlagern sich, ohne miteinander zu verschmelzen, ohne etwas zu vermengen, mit Ausnahme der unterschiedlichen Empfindungen, die sie in mir hervorrufen, und es ist, als sähe ich viele Menschen durch die Straße gehen und fühlte zugleich ihre Seelen (was nur in einer Einheit des Wahrnehmens geschehen könnte) in genau dem Augenblick, in dem ich verschiedene Körper (die ich nur einzeln sehen könnte) in einer Bewegung unzähliger Beine aneinander vorbeigehen sähe.
Anhang
I. Texte, die auf den Namen Vicente Guedes verweisen
Vicente Guedes war über Jahre ein von Pessoa für das Buch der Unruhe als Autor vorgesehenes Heteronym, ehe es durch Bernardo Soares ersetzt wurde. Seine psychische Struktur und Geisteshaltung kommt der des Baron von Teive, eines anderen pessoanischen Heteronyms und »Autor« von Die Erziehung zum Stoiker [90] , sehr nahe .
Meine Bekanntschaft mit Vicente Guedes ergab sich rein zufällig. Wir waren uns des öfteren in einem ruhigen, preiswerten Restaurant begegnet. Wir kannten uns vom Sehen und begannen uns wie selbstverständlich stillschweigend zu grüßen. Eines Tages fanden wir uns am selben Tisch wieder, der Zufall wollte es, daß wir zwei, drei Sätze wechselten, so kamen wir ins Gespräch. Von da an trafen wir uns alle Tage, zum Mittag- und zum Abendessen. Bisweilen verließen wir das Restaurant gemeinsam nach dem Abendessen, gingen ein wenig spazieren und plauderten.
Vicente Guedes ertrug dieses nichtige Leben mit meisterhaftem Gleichmut. Seine Geisteshaltung gründete sich auf einen Stoizismus der Schwachen.
Die Beschaffenheit seiner Psyche verdammte ihn zu Sehnsüchten aller Art und die seiner Bestimmung, von all diesen Sehnsüchten abzulassen. Keine Menschenseele hat mich je so erstaunt. Obgleich alles andere als ein Asket, hatte dieser Mann allem abgeschworen, wozu seine Natur ihn bestimmt hatte. Obgleich zur Zielstrebigkeit geboren, gewann er zunehmend Geschmack an der völligen Ziellosigkeit.
… dieses sanfte Buch.
Ist alles, was bleiben wird von einer der subtilsten passiven Seelen, von einem der haltlosesten reinen Träumer, den diese Welt je gekannt hat. Nie, glaube ich, hat eine nach außen hin menschliche Kreatur das Bewußtsein von sich selbst vielschichtiger gelebt. Dandy im Geiste, hat er die Kunst des Träumens durch den Zufall seiner Existenz geführt.
Dieses Buch ist die Biographie von jemandem, der nie ein Leben hatte … [91]
Niemand weiß, wer Vicente Guedes war, noch was er tat oder […]
Dieses Buch ist nicht von ihm, dieses Buch ist er. Aber vergessen wir nie, was sich hinter all dem hier Gesagten geheimnisvoll im Schatten schlängelt.
Für Vicente Guedes war sich seiner selbst bewußt zu
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