Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
Vom Netzwerk:
Palästen, Erinnerungen, die ihre Hand auf die unsere legen, Sonnenuntergänge an unheilvollen Himmeln wie zufällige Blicke der Unsicherheit, die Sternennächten weichen über der Stille untergehender Reiche …
    —
    Wahrnehmung auf eine Naturwissenschaft reduzieren, Seelenanalyse mit einer Methode von mikroskopischer Genauigkeit betreiben – dieses Bestreben beherrscht, wie ein stiller Durst, meinen Lebenswillen in seinem Kern …
    Alle großen Tragödien meines Lebens spielen sich zwischen meiner Wahrnehmung und meinem Bewußtsein von ihr ab. In diesem dunklen, unbestimmten Bereich, bewaldet und wasserberauscht, unberührt selbst vom Lärm unserer Kriege, fließt mein wahres Wesen dahin, das ich vergeblich klar zu sehen suche …
    Ich ruhe in meinem Leben wie in einem Grab. (Meine Wahrnehmungen sind ein zu langes Epitaph [89]   meines toten Lebens.) Mir widerfahren Tod und Dunkel. Einzig eine Grabstätte innerer Schönheit vermag ich zu schaffen.
    Die Tore meiner Abgeschiedenheit führen zu Gärten des Unendlichen, aber niemand durchschreitet sie, nicht einmal in meinen Träumen – und doch stehen sie stets offen zum Unnützen, eisern auf ewig zum Falschen hin …
    Ich pflücke Blütenkronen in Gärten inneren Glanzes und gehe knirschenden Schritts zwischen geträumtem Buchsbaum durch Alleen hin zur Unordnung.
    Ich habe meine Reiche in der Unordnung angesiedelt, am Rand der Stille, im falben Krieg, dem Ende des Exakten.
    —
    Der Mensch der Wissenschaft erkennt, daß für ihn die einzige Wirklichkeit er selbst ist und die einzig wirkliche Welt die, die seine Wahrnehmung ihm vermittelt. Daher versucht er, statt mittels objektiver Wissenschaft den falschen Weg der Anpassung seiner Wahrnehmung an die anderer zu beschreiten, mittels der objektiven Wissenschaft vor allem seine eigene Welt und Persönlichkeit vollkommen zu erkennen. Nichts ist objektiver als seine Träume. Und nichts persönlicher als das Bewußtsein seiner selbst. Basierend auf diesen beiden Wirklichkeiten vervollkommnet er seine Wissenschaft. Sie ist gänzlich anders als die früherer Wissenschaftler, die, weit davon entfernt, die Gesetze ihrer eigenen Persönlichkeit und die Struktur ihrer Träume zu erkunden, sich mit den Gesetzen des »Äußeren« befaßten und der Struktur dessen, was sie »Natur« nannten.
    *
    Vorrangig für mich ist, daß ich seit jeher träume, und dies auf besondere Art. Meine Lebensumstände – ich war von Kind auf still und allein – und vielleicht auch andere, weiter zurückliegende Kräfte, die mich durch das dunkle Wirken der Vererbung formten, ließen meinen Geist zu einem endlosen Strom von Tagträumen werden. In ihm fließt mein ganzes Sein, und selbst was in mir am wenigsten dem Träumer gleicht, gehört vorbehaltlos zu einer Seele, die nur träumt und träumend ihre höchste Stufe erreicht hat.
    Ich möchte zu meinem eigenen Vergnügen an der Selbstanalyse und in dem Maße, in dem ich dazu fähig bin, nach und nach all die geistigen Prozesse in Worte fassen, die in mir nur ein einziger sind – der eines dem Traum geweihten Lebens, einer Seele, erzogen nur, zu träumen.
    Betrachte ich mich von außen, wie ich es fast immer tue, bin ich ein Handlungsunfähiger, verstört bereits beim Gedanken an die geringste Geste oder den nächsten Schritt, ungeeignet, um mit anderen zu sprechen, es fehlt mir an innerer Klarheit, um mich an Dingen zu erfreuen, die geistige Anstrengung erfordern, und an physischer Ausdauer, um mir die Zeit mit rein mechanischer Arbeit vertreiben zu können.
    Daß ich so bin, ist nur natürlich. Ein Träumer hat so zu sein. Alle Wirklichkeit verstört mich. Die Worte anderer versetzen mich in einen Zustand tiefer Angst. Die Wirklichkeit anderer Seelen überrascht mich beständig. Das weite Geflecht unbewußten Verhaltens, das hinter allem für mich sichtbaren Tun steht, erscheint mir wie eine absurde Illusion, ohne plausiblen Zusammenhang, ein Nichts.
    Wer allerdings glaubt, ich verstünde nichts von den psychischen Mechanismen anderer und hätte keine klare Vorstellung von ihren Beweggründen und geheimsten Gedanken, täuscht sich in dem, was ich bin.
    Denn ich bin nicht nur, sondern ausschließlich Träumer. Durch mein fortgesetztes Träumen habe ich einen überaus klaren Einblick in mich gewonnen. Ich sehe nicht nur die Gestalten und décors meiner Träume erstaunlich und bisweilen verwirrend deutlich, sondern auch meine abstrakten Ideen, meine menschlichen Gefühle (das, was von

Weitere Kostenlose Bücher