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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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ihnen übrig ist), meine geheimen Impulse und mein psychisches Verhalten mir selbst gegenüber. Ja, ich sehe meine eigenen abstrakten Ideen, sehe sie in mir, mit einem inneren, wirklichen Blick, in einem inneren Raum. Sehe so selbst in ihre kleinsten Windungen.
    Daher kenne ich mich ganz, und da ich mich ganz kenne, kenne ich auch die gesamte Menschheit ganz. Kein niederer Impuls, keine edle Absicht, die in meiner Seele nicht wie ein Blitz aufgeleuchtet hätte, ich weiß, wie sie sich bemerkbar machen. Auch hinter den Masken der Güte und Gleichmut erkenne ich, selbst in uns, schlechte Gedanken an ihrem Ausdruck. Ich weiß, was sich in uns um Selbsttäuschung bemüht. Und so kenne ich die meisten Menschen, die ich sehe, besser als sie sich selbst. Ich versuche oft, sie zu erforschen, und mache sie mir auf diese Weise zu eigen. Ich bemächtige mich des Seelenlebens, das ich darlege, da Träumen für mich Besitzen bedeutet. Daher ist nur natürlich, daß ich, der Träumer, auch der Analytiker bin, als den ich mich sehe.
    Zu dem wenigen, das ich gelegentlich gerne lese, gehören insbesondere Theaterstücke. Auf meiner inneren Bühne werden Tag für Tag die unterschiedlichsten Stücke gespielt, und ich weiß sehr genau, wie man in einer Mercatorprojektion eine Seele ausleuchtet. Mein Vergnügen hält sich jedoch in Grenzen, die Dramatiker begehen die immer gleichen, gravierenden Fehler. Kein Stück hat mich je wirklich überzeugt. Da ich die menschliche Psychologie blitzartig erkenne und mit einem einzigen Blick selbst ihre geheimsten Winkel ergründe, bin ich immer wieder unangenehm berührt von der groben Analyse und Konstruktion der Stückeschreiber, und das wenige dieser Art, das ich lese, stößt mich ab wie ein Tintenfleck auf einem Schriftstück.
    Dinge sind der Stoff für meine Träume, daher verwende ich eine zerstreute, überaus aufmerksame Aufmerksamkeit auf bestimmte Details der Außenwelt.
    Um meinen Träumen Kontur zu verleihen, muß ich wissen, in welcher Weise wirkliche Landschaften und lebende Personen für uns konturiert erscheinen. Denn der Blick des Träumers auf die Dinge unterscheidet sich von dem des Nicht-Träumers. Im Traum richtet sich der Blick, anders als in der Wirklichkeit, nicht gleichermaßen auf das Wichtige und Unwichtige eines Objektes. Der Träumer sieht nur das Wichtige. Die wahre Wirklichkeit eines Objektes ist nur ein Teil des Träumers; alles übrige ist der hohe Tribut, den er der Materie für seine Existenz im Raum zollen muß. Desgleichen haben bestimmte im Traum wirklich faßbare Phänomene im Raum keine greifbare Wirklichkeit. Ein wirklicher Sonnenuntergang ist unwägbar und vergänglich. Ein geträumter Sonnenuntergang ist unveränderlich und ewig. Wer zu schreiben versteht, versteht auch seine Träume klar zu sehen (ja, dem ist so) oder im Traum das Leben, er versteht, das Leben auf immaterielle Art zu sehen, versteht, es mit jener Traumkamera abzulichten, der die Strahlen alles Schweren, alles Unnützen und Begrenzten nichts anhaben können, sie schwärzen lediglich die Photoplatte.
    Dieses Verhalten, das sich durch starkes Träumen in mir verhärtet hat, läßt mich stets die Traumseite der Wirklichkeit sehen. Meine Sicht der Dinge klammert alles aus, was meinem Traum nicht von Nutzen ist. Und so lebe ich immer im Traum, auch wenn ich im Leben lebe. Ob ich einen Sonnenuntergang träume oder außerhalb von mir betrachte, ist für mich ein und dasselbe, denn ich sehe beide auf ein und dieselbe Weise, mein Blick nimmt in beiden Fällen dasselbe wahr.
    Deshalb mag die Vorstellung, die ich von mir habe, vielen falsch vorkommen. Das ist sie in gewisser Weise auch. Doch ich träume mich selbst, nehme das von mir, was träumbar ist, und setze mich so wieder und wieder auf alle nur möglichen Arten neu zusammen, bis ich meiner Vorstellung entspreche von dem, was ich bin und nicht bin. Bisweilen übersieht man ein Objekt am besten; und doch besteht es auf unerklärliche Weise weiter, und zwar aus dem Stoff des Leugnens und des Übersehens, so schaffe ich die großen wirklichen Räume meines Seins, die mich, auch wenn ich sie in meinem Bild von mir unterdrückt habe, in das, was ich wirklich bin, verwandeln.
    Wie also täusche ich mich nicht hinsichtlich meiner eigenen Illusionsprozesse? Nun, dieselben Prozesse, die einer mehr als wirklichen Wirklichkeit eine Weltsicht oder eine Traumgestalt aufdrängen, drängen auch dem mehr als Wirklichen eine Emotion oder einen Gedanken auf und

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