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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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ab. Die Energie, die Schläue dieses Mannes – im Grunde banal und bei vielen tausend Männern auf der ganzen Welt anzutreffen – sind auf dieser Photographie so ausgeprägt festgehalten wie in einem psychologischen Reisepaß. Die beiden Handelsreisenden sind prächtig herausgekommen; auch der örtliche Handelsvertreter ist gut getroffen, wird aber fast verdeckt von einer Schulter des Herrn Moreira. Und erst Moreira selbst! Mein Vorgesetzter Moreira, die Quintessenz der Eintönigkeit und des Beharrungsvermögens, wirkt gleichwohl viel persönlicher, als ich es tue! Sogar dem Laufburschen – ich bemerke das, ohne ein Gefühl unterdrücken zu können, von dem ich anzunehmen versuche, es sei kein Neid – steht eine Sicherheit, eine Unmittelbarkeit ins Gesicht geschrieben, die um ein mehrfaches Lächeln von meiner nichtigen Erloschenheit als Papier-Sphinx entfernt ist.
    Was will das heißen? Was ist das für eine Wahrheit, daß ein Film nicht irrt? Was ist das für eine Gewißheit, die eine kalte Linse dokumentarisch festhält? Wer bin ich, daß ich so sein kann? Gleichwohl … Und die Schmach des Gesamtbilds?
    »Sie sind wirklich gut getroffen«, sagte plötzlich Moreira. Und dann an den Handelsvertreter gewandt: »Das ist doch genau sein Gesichtchen, nicht wahr?« Der Handelsvertreter stimmte freundlich heiter zu und beförderte mich somit auf den Müll.

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    Und heute, wenn ich darüber nachdenke, was mein Leben bisher war, komme ich mir vor wie ein Tier, das man am angewinkelten Arm in einem Korb zwischen zwei Vorortbahnhöfen transportiert. Das Bild ist dumm, doch das Leben, das es beschreibt, noch weit dümmer. Solche Körbe haben für gewöhnlich zwei halbovale Deckel, die sich, wenn das Tier zappelt, an ihrem einen oder anderen äußeren Ende leicht heben. Der Arm des Korbträgers aber, der leicht längs auf dem Scharnier in der Mitte liegt, läßt nicht zu, daß ein so schwaches Ding mehr als vergeblich seine Glieder hebt, nutzlos wie Schmetterlingsflügel, die erlahmen.
    Ich vergaß, daß ich von mir sprach, als ich den Korb beschrieb. Ich sehe ihn deutlich und auch den dicken, gebräunten Arm der Magd, die ihn trägt. Doch mehr als ihren mit Flaum bedeckten Arm gelingt mir nicht von ihr zu erspähen. Mir ist nicht wohl … wäre da nicht plötzlich diese belebende Frische […] von den weißen Tragbügeln und Bändern […], aus denen Körbe geflochten sind wie der Korb, in dem ich zapple, ein Tier zwischen zwei Haltestellen, die ich spüre. Zwischen ihnen ruhe ich mich aus, auf etwas, das eine Bank zu sein scheint, und draußen sprechen sie über meinen Korb. Beruhigt schlafe ich ein, bis man mich an der nächsten Haltestelle wieder hochhebt.

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    6 .  4 .  1930
    Die Umgebung ist die Seele der Dinge. Jedes Ding hat seinen eigenen Ausdruck, und dieser Ausdruck kommt ihm von außen zu.
    Jedes Ding ist der Schnittpunkt dreier Linien, und diese drei Linien bilden das Ding: eine bestimmte Quantität Materie, die Art, wie wir sie deuten, und die Umgebung, in dem es sich befindet. Der Tisch, an dem ich schreibe, ist ein Stück Holz, ist ein Tisch und eines von mehreren Möbeln in diesem Zimmer. Mein Eindruck von diesem Tisch wird, will ich ihn wiedergeben, aus den Feststellungen bestehen, daß er aus Holz ist, daß ich das Holz als Tisch bezeichne, ihm einen bestimmten Gebrauch und Zweck zuschreibe und daß sich die Gegenstände, die auf ihm liegen und in deren Nebeneinander er seine äußere Seele findet, in ihm spiegeln, in ihn eingehen und ihn verwandeln. Und seine Farbe, das Verblassen dieser Farbe, seine Flecken und Risse – all dies kam ihm wohlgemerkt von außen zu und verleiht ihm weit mehr Seele als das Holz, aus dem er besteht. Auch das Innere dieser Seele, sein Tischsein, seine Persönlichkeit, wurde ihm von außen verliehen.
    Ich betrachte es daher weder als menschlich noch literarisch falsch, Dingen, die wir als seelenlos bezeichnen, eine Seele zuzuschreiben. Ein Ding sein heißt Gegenstand einer Zuschreibung sein. Vielleicht ist es falsch zu sagen, ein Baum fühlt, ein Fluß fließt, ein Sonnenuntergang ist melancholisch oder das stille Meer (blau dank eines nicht blauen Himmels) lächelt (dank einer Sonne außerhalb von ihm). Doch ebenso falsch ist es, Dingen Schönheit zuzuschreiben, Farbe, Form und womöglich sogar Sein. Dieses Meer ist salziges Wasser. Dieser Sonnenuntergang bedeutet, daß auf diesem Breiten- und Längengrad das Sonnenlicht weniger wird. Dieses Kind, das vor mir

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