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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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spielt, ist eine geistige Anhäufung von Zellen – ja, mehr noch, ein Uhrwerk subatomarer Bewegungen, ein merkwürdiges elektrisches Konglomerat von Millionen Sonnensystemen in minimalster Miniaturausgabe.
    Alles kommt von außen, und die menschliche Seele selbst ist vielleicht nicht mehr als der Sonnenstrahl, der leuchtet und den Misthaufen, der unser Körper ist, vom Boden isoliert.
    Diese Überlegungen könnten eine Philosophie enthalten für einen, der fähig wäre, aus ihnen Folgerungen zu ziehen. Ich bin es nicht, mir kommen nur von ungefähr klare Gedanken an logische Möglichkeiten, die sich alle trüben beim Anblick eines Sonnenstrahls, der einen Misthaufen, auf einem fast schwarzen Boden neben einer Steinmauer, wie dunkles, feucht zusammengepreßtes Stroh vergoldet.
    So bin ich. Wenn ich denken will, sehe ich. Wenn ich in meine Seele hinabsteigen will, bleibe ich plötzlich an der Treppenspirale nach unten stehen und betrachte durch das Fenster des letzten Stockwerks selbstvergessen die Sonne, die mit ihrem Abschiedsrot die weite Landschaft der Dächer tränkt.

59
    Jedesmal, wenn sich meine Bestrebungen unter dem Einfluß meiner Träume über das Alltagsniveau meines Lebens erhoben und ich mich für einen Moment emporgetragen fühlte wie ein Kind auf seiner Schaukel, mußte ich wieder, wie dieses Kind, auf den Boden des Stadtparks kommen und meine Niederlage einsehen – ohne flatternde Kriegsbanner und ohne die Kraft, das Schwert zu zücken.
    Ich vermute, die meisten Menschen, denen ich zufällig begegne, tragen ebenfalls – die stumme Bewegung ihrer Lippen, die vage Unschlüssigkeit ihrer Augen oder ihr bisweilen vernehmbares Gemurmel verraten es – in sich die Neigung zum Krieg eines bannerlosen Heeres. Und sie alle – ich wende mich um, die Rücken dieser armen Besiegten zu betrachten – werden wie ich die große schmähliche Niederlage zwischen Schlamm und Schilf erleben, ohne Mondlicht über den Ufern, ohne die Poesie der Sümpfe, jämmerlich und stümperhaft.
    Alle haben wie ich ein überspanntes, trauriges Herz. Ich kenne sie gut: manche sind Ladengehilfen, andere Büroangestellte, wieder andere Geschäftsleute mit kleinen Geschäften, oder aber Eroberer von Kaffeehäusern und Tavernen und unwissentlich glorreich in der Ekstase ihres ichbezogenen Geredes oder aber selbstzufrieden wortkarg, wenngleich sie nichts zu verschweigen haben. Aber sie alle, die Ärmsten, sind Dichter und schleppen in meinen Augen wie ich in ihren Augen das Elend unserer gemeinsamen Unstimmigkeit mit sich herum. Bei ihnen wie bei mir liegt die Zukunft in der Vergangenheit.
    Selbst jetzt, wo ich untätig im Büro sitze und alle außer mir zum Mittagessen gegangen sind, verfolgen meine Blicke durch das trübe Fenster hindurch den schwankenden alten Mann, der langsam auf dem Bürgersteig der anderen Straßenseite einhertorkelt. Er geht nicht wie ein Betrunkener; er geht wie ein Träumer. Er ist aufmerksam für das Nicht-Existierende; vielleicht hofft er noch. Die Götter mögen uns, wenn sie gerecht sind in ihrer Ungerechtigkeit, die Träume bewahren, selbst wenn sie unmöglich sind, und uns gute Träume schenken, auch wenn sie belanglos sein sollten. Heute kann ich, da ich noch nicht alt bin, von Inseln des Südens und unmöglichen indischen Landschaften träumen; morgen schenken mir vielleicht dieselben Götter den Traum, Inhaber eines kleinen Tabakladens zu sein oder als Pensionär in einem Haus in den Vorstädten zu leben. Jeder dieser Träume ist derselbe Traum, da sie allesamt Träume sind. Mögen mir die Götter meine Träume verändern, nicht aber die Gabe zu träumen nehmen.
    Während ich dies denke, ist der alte Mann meiner Aufmerksamkeit entgangen. Ich sehe ihn nicht mehr. Ich öffne das Fenster, um nach ihm Ausschau zu halten. Ich sehe ihn noch immer nicht. Er ist fort. Er erfüllte mir gegenüber die visuelle Pflicht eines Symbols; damit ist er nun fertig und um die Ecke gebogen. Wenn man mir sagen würde, daß er um die absolute Straßenecke gebogen ist und niemals hier war, nähme ich dies mit derselben Geste hin, mit der ich jetzt das Fenster schließe.
    Vollbringen?
    Arme krämerhafte Halbgötter, die mit Worten und edlen Absichten Imperien gewinnen und doch dringend Geld für ihr Zimmer und ihr Essen brauchen! Sie wirken wie die Truppen eines im Stich gelassenen Heeres, dessen Anführer einen ruhmreichen Traum hegte, von dem ihnen, in das Schilf eines Sumpfes versprengt, nur die Vorstellung von

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