Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
zurückbehält: den schwarzen Hintergrund in der Ferne und gewisse Intuitionen, die im Gegensatz dazu wie Möwen das Geheimnis aller Dinge in diesem tiefen Schwarz heraufbeschwören.
Auf einmal jedoch, entgegen meiner inneren literarischen Absicht, ruft der schwarze Hintergrund des Himmels im Süden dank einer wahren oder auch falschen Erinnerung einen anderen Himmel in mir wach, den ich vielleicht in einem anderen Leben erblickt habe, hoch im Norden, mit einem kleineren Fluß, mit traurigem Schilf und ohne jede Stadt. Ohne daß ich wüßte wie, treibt mir eine Landschaft für Wildenten durch die Phantasie, und mit der Klarheit eines sonderbaren Traumes fühle ich mich dieser, imaginären Landschaft ganz nahe.
Schilfgesäumte Flüsse, Gelände für Jäger und Ängste, unregelmäßige Ufer führen wie schmutzige Miniaturlandzungen in ein gelblich bleifarbenes Wasser und wieder zurück in schlammige Buchten für Boote, klein wie Spielzeuge, hinein in Flüsse, deren Wasser an der Oberfläche über dem Schlick zwischen grünschwarzen Binsen glitzert und wo kein Gehen möglich ist.
Die Trostlosigkeit rührt von einem leblos grauen Himmel; hier und dort zerfetzen ihn Wolken, noch schwärzer als die Farbe des Himmels. Ich spüre keinen Wind, doch ist er da, und die gegenüberliegende Flußseite wirkt wie eine lange Insel, hinter der man – großer, verlassener Tejo! – das wahre andere Ufer konturlos in der Ferne erblickt.
Niemand gelangt dorthin oder wird je dorthin gelangen. Selbst wenn ich im Widerspruch zu Zeit und Raum der Welt in diese Landschaft entfliehen könnte, gelangte nie jemand dorthin. Und ich würde vergeblich auf etwas warten, vom dem ich nicht wüßte, was es ist, und am Ende käme nur langsam die Nacht, und der gesamte Raum nähme allmählich die Farbe der schwärzesten Wolken an, die nach und nach in der abgeschafften Himmelsmasse versänken.
Und plötzlich spüre ich hier die Kälte von dort. Sie berührt meinen Körper, steigt auf aus meinen Knochen. Ich atme tief und erwache. Der Mann, der meinen Weg unter den Arkaden neben der Börse kreuzt, schaut mich mit dem Mißtrauen eines Menschen an, der nichts zu erklären vermag. Der schwarze Himmel zog sich zusammen und senkte sich noch tiefer über das südliche Ufer.
52
Wind kam auf … Zuerst klang es wie die Stimme eines Vakuums … Ein Pfeifen des Raums durch ein Loch, ein Riß in der Stille der Luft. Dann erhob sich ein Schluchzen, ein Schluchzen aus der Tiefe der Welt, die Wahnehmung, daß Fensterscheiben vibrierten und daß es wirklich Wind war. Dann wurde es lauter, dumpfes Geheul, ein Weinen, das kein Weinen war angesichts der immer tieferen Nacht, ein Knirschen der Dinge, ein Fallen kleinster Teile, ein Atom vom Ende der Welt.
Dann wieder schien es […]
53
Als das Christentum wie eine Sturmnacht, auf die der Tag folgt, über die Seelen hinwegfegte, spürte man die Zerstörung, die es unsichtbar anrichtete, ihr ganzes Ausmaß aber sah man erst, als es bereits vorüber war. Einige meinten, der eigentliche Schaden sei durch sein Verschwinden entstanden; doch den Schaden hat es nur offenbart und nicht verursacht.
Und so blieb in dieser Welt der Seelen der Schaden sichtbar und das Unglück offensichtlich, und keine Nacht deckte sie zu mit falscher Liebe. Die Seelen sahen sich, wie sie waren.
Daraufhin befiel die noch jungen Seelen jene Romantik genannte Krankheit, jenes Christentum ohne Illusionen, ohne Mythen, nackt und im Wesen dürr und krank.
In all ihrem Elend verwechselt die Romantik das, was wir benötigen, mit dem, was wir uns wünschen. Wir alle benötigen Dinge, die für das Leben, seine Erhaltung und seinen Fortbestand unerläßlich sind; wir alle wünschen uns ein vollkommeneres Leben, das Glück schlechthin, die Erfüllung unserer Träume und […]
Es ist menschlich zu wollen, was wir benötigen, und ebenso menschlich zu wünschen, was wir nicht benötigen, was uns aber wünschenswert erscheint. Krankhaft hingegen ist, wenn wir uns, was wir benötigen und was uns wünschenswert erscheint, gleich inständig wünschen und an der mangelnden Vollkommenheit leiden, als mangele es uns an Brot. Das genau ist das Elend der Romantik: sie will nach dem Mond greifen – als ließe er sich herunterholen.
»Man kann einen Kuchen nicht essen und gleichzeitig bewahren.«
Ob in den niederen Sphären der Politik oder im Innersten unserer Seele – überall das gleiche Elend.
Der Heide in der realen Welt wußte nichts von
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