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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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Lektüre der Klassiker. Ihre Knappheit, Ausdruck ihrer Klarheit, ist mir auf rätselhafte Weise Trost. Durch sie gewinne ich die heitere Vorstellung von einem allumfassenden Leben, das weite Räume betrachtet, ohne sie zu durchlaufen. Selbst die heidnischen Götter erholen sich dort von ihrem Mysterium.
    Die übertrieben wißbegierige Analyse der Empfindungen – mitunter der Empfindungen, die wir zu haben glauben –, die Identifikation des Herzens mit der Landschaft, die anatomische Freilegung sämtlicher Nerven, der Gebrauch des Wunsches als Wille und des Strebens als Gedanke – diese Dinge sind mir allzu vertraut, als daß sie mir bei anderen etwas Neues bieten oder Ruhe verschaffen könnten. Wann immer ich sie fühle, wünschte ich, eben weil ich sie fühle, ich fühlte etwas anderes. Und wenn ich einen Klassiker lese, wird mir dieses andere gegeben.
    Ich gestehe es unumwunden und ohne Scham … Keine Passage von Chateaubriand, kein Gesang von Lamartine – Texte, die mir so oft als Stimme dessen scheinen, was ich denke, Gesänge, die mir, scheint es, so oft vorgetragen werden, damit ich erkenne – können mich so in Verzückung versetzen und erbauen wie ein Stück Prosa von Vieira [13]   oder die eine oder andere Ode eines unserer wenigen Klassiker, die Horaz treulich gefolgt sind.
    Ich lese und bin befreit. Ich erlange Objektivität. Ich höre auf, ich zu sein, dieses vereinzelte Wesen. Und was ich lese, ist – anders als ein Anzug, den ich kaum beachte und der mich gelegentlich beengt – die große, überaus bemerkenswerte Klarheit der äußeren Welt, die Sonne, die alle sieht, der Mond, der die stille Erde mit Schatten sprenkelt, die weiten Räume, die im Meer enden, die schwarze Standfestigkeit der Bäume, deren Wipfel sich grün wiegen, der reglose Friede der Teiche auf den Gütern, die terrassierten Hänge mit ihren weinüberwachsenen Wegen.
    Ich lese wie einer, der verzichtet. Und weil Krone und Königsmantel nie solche Größe ausstrahlen wie dann, wenn der scheidende König sie auf dem Boden zurückläßt, lege ich meine Trophäen des Überdrusses und des Traumes auf dem Mosaik meiner Vorzimmer ab und steige die Treppen empor, angetan nur mit dem Adel meines Blickes.
    Ich lese wie einer, der vorübergeht. Und bei den Klassikern, den stillen, die schweigend leiden, fühle ich mich als geweihter Passant, bin gesalbter Pilger, grundloser Betrachter der zwecklosen Welt, Prinz des Großen Exils, der, als er fortging, dem letzten Bettler das größte Almosen seiner Untröstlichkeit gab.

56
    5 .  4 .  1930
    Der ewig irgendwo krankende Teilhaber der Firma hier wollte während einer Krankheitspause aus einer Laune heraus ein Photo vom gesamten Büropersonal haben. Und so nahmen wir denn vorgestern alle auf Weisung des heiteren Photographen in Reih und Glied Aufstellung vor der schmutzigweißen Trennwand, deren zerbrechliches Holz das allgemeine Büro von Herrn Vasques’ Chefzimmer abtrennt. In der Mitte stand Vasques persönlich; zu beiden Seiten in einer zunächst überlegten, dann unüberlegten Einteilung nach Rang und Würden die übrigen Menschenseelen, die sich hier tagaus, tagein zu kleinen Zwecken zusammenfinden, deren letzte Absicht nur das Geheimnis der Götter kennt.
    Als ich heute etwas verspätet und bereits ohne jegliche Erinnerung an das statische Ereignis des zweimal geschossenen Photos ins Büro kam, fand ich den unerwartet früh erschienenen Moreira und einen der Handelsreisenden verstohlen über schwärzliche Dinge gebeugt, in denen ich sogleich erschrocken die ersten Abzüge der Photographien erkannte. Nicht mehr als insgesamt zwei von einem einzigen Photo, dem besten.
    Ich erlitt die Wahrheit, als ich mich darauf sah, denn, wie man mit Recht vermuten darf, suchte ich zuallererst nach mir selbst. Nie habe ich mir meine körperliche Präsenz besonders nobel vorgestellt, aber auch noch nie habe ich sie als so null und nichtig empfunden wie im Vergleich mit den anderen, mir so wohlvertrauten Gesichtern bei dieser Aufreihung von Alltagsmenschen. Ich sehe aus wie ein abgewetzter Jesuit. Mein mageres, ausdrucksloses Gesicht strahlt weder Intelligenz noch Intensität noch etwas aus, das es über die Ebbe der übrigen Gesichter erheben könnte. Ebbe, nein, das ist nicht wahr. Wirklich ausdrucksstarke Gesichter sind darunter. Chef Vasques steht da, wie er leibt und lebt – das breite Gesicht hart und doch jovial, energisch der Blick; ein steifer Schnurrbart rundet seine Erscheinung

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