Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
Weihwasser. Ich weiß, dass viele Leute denken, Vampire wären hässliche, fürchterliche Geschöpfe, die einem mit ihren Klauen die Brust zerfetzen, aber das stimmt gar nicht. Ich hab schon ein bisschen was gesehen im Leben, das dürfen Sie mir glauben. Und mein Vetter über zwei Ecken, Barth heißt er, der weiß jede Menge über Vampire, und er hat mir seit ich klein war Geschichten von ihnen erzählt. Er hat auch schon oft welche gesehen, drüben in St. Giles. Er schleppt immer so ein großes Kruzifix mit sich rum, das er dann vor sich hält, wenn er auf der Straße geht. Sieht echt komisch aus in meinen Augen, aber besser auf Nummer sicher gehen als gut aussehen.«
Es hatte den Anschein, dass Verbena, wenn sie die Gelegenheit bekam zu sprechen, diese auch beim Schopf packte. Ohne Hemmungen.
»Nun, Verbena, ich muss sagen, es trifft sich sehr gut, dass du so... äh... vertraut bist mit diesen Dingen, denn es wird meine Lage wesentlich vereinfachen. Weil natürlich Lady Melisande nichts von all dem erfahren darf.«
Die Zofe nickte. »Ja, Miss Victoria. Ihre Mutter würde auf der Stelle in Ohnmacht fallen und Sie dann für alle Zeiten aufs Land verfrachten. Und wie würden wir dann dastehen? Soweit ich weiß, gibt’s auf dem Land keine Vampire. Ich hab mir übrigens schon ein paar neue Frisuren für Sie einfallen lassen, um einen Pflock darin zu verstecken, den Sie dann ganz leicht rausziehen können, wenn Sie ihn brauchen.
Und es gibt wahrscheinlich sogar die Möglichkeit, zwei reinzupacken, weil ich mir nämlich vorstellen kann, dass Sie am Ende einen verlieren, und was dann? Wie gut, dass Ihre Locken so dicht und schwer sind, damit haben wir jede Menge, womit wir arbeiten können. Und bis dieser Biss verheilt ist... na ja, Miss Victoria, das wird eine ziemliche Herausforderung werden, mit diesen tiefen Ausschnitten, die den Hals und das Dekolleté freilassen, aber ich hab da ein paar Ideen, und irgendwie werden wir das schon schaffen. Lassen Sie sich mal keine grauen Haare wachsen.«
»Gewiss.« Victoria drehte sich wieder zum Spiegel um. Was gab es da noch zu sagen?
»Ich weiß ihre Zuneigung zu ihrer Tante ja zu schätzen, aber wenn Victoria weiterhin in den unpassendsten Momenten verschwindet,
wird sie jede Chance verspielen, den Marquis zu erobern - oder andere gute Partien!« Lady Melisande lief wie ein aufgescheuchtes Huhn im Salon von Grantworth House auf und ab.
»Nun komm schon, Melly, reg dich nicht auf«, beruhigte Petronilla sie. »Gewiss ist der Umstand, dass dein Foyer und deine Salons vor Blumen nur so überquellen, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Victoria mehr als nur einen potenziellen Verehrer gewonnen hat!«
»Das stimmt schon, nur leider sind keine von Rockley darunter! Er hat uns heute nicht seine Aufwartung gemacht, und ich befürchte, dass Victorias frühes Verlassen des Balls gestern Abend sein Interesse hat abkühlen lassen.«
Winifred griff nach einem Ingwerplätzchen, und als sie sich wieder zurücklehnte, schlug ein großes Kruzifix gegen ihre Brust. »Du sagtest, deine Tante sei krank?«
»Ich weiß es nicht - aber mit dieser Begründung hat sie ihren Freund Maximilian Pesaro letzte Nacht losgeschickt, um Victoria an ihre Seite zu holen. Ich will mich ja nicht einmischen... immerhin verfügt Eustacia über ein großes Vermögen, das sie uns hinterlassen wird, und außerdem... nun ja, sie kann ein wenig beängstigend sein, aber sie hätte wirklich keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können, um Victoria zu sich zu bestellen!«
»Maximilian Pesaro? Ich glaube nicht, dass ich ihn kenne«, bemerkte Winnie, während sie mit großem Interesse die Zitronenglasur auf einem Teller mit Schokoladenkeksen betrachtete. Sie hatte sich noch für keinen entscheiden können, aus Sorge, einen mit einer geringeren Menge Zuckerguss zu erwischen. »Wer ist er?«
»Es ist dieser schrecklich groß gewachsene Mann, der direkt nach dem Abendessen durch den Saal marschiert kam, als wäre er in irgendeiner wichtigen Mission unterwegs. Schwarzes Haar, dunkler Teint und ein Gesichtausdruck, dass mir beinahe das Herz stehen geblieben wäre!«, antwortete Petronilla und schlug die Hand auf besagtes Organ, als wollte sie es an Ort und Stelle halten. »Er sieht entsetzlich gefährlich aus. Fast wie ein Pirat!«
»Zumindest hast du nicht gesagt, dass er wie ein Vampir aussieht.« Melly nahm nun auf ihrem Lieblingssofa Platz. »Er ist ein besonderer Freund meiner Tante und erst kürzlich,
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