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Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen

Titel: Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen Gleason
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gewesen war, als sie ihn nur als jungen Mann - und gewiss nicht als Marquis! - gekannt hatte, der unbekümmert und mutig wirkte. Sie hatten sich zwei Wochen lang jeden Tag getroffen, und er hatte nie durchblicken lassen, dass er mehr war als nur ein Junge aus dem Dorf. Er hielt sie für interessant und originell, und auf der Grundlage seiner Erinnerung an damals bemühte er sich nun um sie. Das bedeutete etwas, oder nicht?
    Oder vielleicht war sie in seiner Erinnerung so perfekt gewesen - wenngleich sie nicht wusste, wie er ein junges Mädchen, das ihm die Leviten las, perfekt finden konnte -, dass die Realität, die Art, wie sie heute war, nicht mit seinen Erwartungen übereinstimmte. Vielleicht empfand er sie als Enttäuschung.
    Wenigstens hatte er nicht versucht, sie in eine abgeschiedene Nische zu locken, um ihr die Zunge in den Mund und die Hand ins Mieder zu stecken, so wie der Viscount Walligrove dies vor zwei Tagen während der Dinnerparty der Terner-Fordhams getan hatte. Victoria hatte mit dem lüsternen Mann und seinen aufgequollenen Lippen kurzen Prozess gemacht. Er wusste nicht, wie ihm geschah, als sie ein paar der kalaripayattu -Techniken anwandte, die Kritanu ihr beigebracht hatte. Zusammen mit der zusätzlichen Kraft, die ihr die vis bulla verlieh, hatte ihre Selbstverteidigungsmaßnahme den Viscount in ein zusammengekrümmtes Häuflein Elend mit einem blauen Auge, einer gebrochenen Nase und einem verstauchten Knöchel verwandelt.
    Vielleicht würde er es sich in Zukunft zweimal überlegen, bevor er ein unschuldiges Mädchen betatschte.
    »Wir werden uns um eine neue Zofe für dich kümmern
müssen, Victoria«, fuhr Lady Melly in völlig anderem Ton fort. »Diese Verbena erledigt ihre Arbeit viel zu nachlässig. Sieh dich nur an - deine Frisur ist ja schon ganz locker, und dabei sind wir noch nicht einmal bei den Straithwaites angekommen!« Sie lehnte sich nach vorn, um nach der dicken Locke zu greifen, die auf Victorias Schulter lag.
    »Mutter, bitte.« Victoria entzog sich flink ihrer Reichweite, auch wenn sie damit in Kauf nahm, sich noch tiefer in die Ecke der Sitzbank drücken zu müssen, die sie mit Lady Melly teilte, sodass ihre Röcke noch mehr zerknitterten. »Es gibt keinen Grund, Verbena zu ersetzen. Sie hat mein Haar absichtlich so frisiert; ich wollte einen anderen Stil ausprobieren. Vielleicht lösen wir ja einen neuen Modetrend aus.« Sie lächelte und spielte dabei mit der Locke des Anstoßes, um sicherzustellen, dass sie noch immer die vier roten Male an ihrem Hals bedeckte.
    »Hmpf.« Lady Melly lehnte sich wieder zurück. »Ich kann nicht behaupten, dass mir persönlich dieser Stil gefällt, aber es hat natürlich etwas für sich, als originell zu gelten. Wenn du also originell sein musst, um Rockley zu gefallen, dann tu es. Und ich denke, das Hauskonzert der Straithwaites ist einer der geeigneteren Anlässe, eine neue Mode zu präsentieren; falls es überhaupt einen geeigneten Moment für dergleichen gibt.«
    Dem konnte Victoria nicht widersprechen. Lord Renald und Lady Gloria Straithwaite waren entfernte Verwandte von Lady Melly, und sie luden jedes Jahr zu einer sorgfältig choreographierten Darbietung der außerordentlichen musikalischen Talente ihrer vier Töchter, um diese von ihrer besten Seite zu zeigen. Die älteste von ihnen hatte in der letzten Saison erfolgreich
einen Heiratskandidaten an Land gezogen, und die Straithwaites hatten unverkennbar die Absicht, diesen Trend fortzusetzen.
    Da die Töchter in dreifacher Hinsicht vom Schicksal freundlich bedacht worden waren - mit Talent, Vermögen und hübschen Kurven -, war das Hauskonzert gut besucht, vor allem von heiratswilligen Junggesellen der Oberschicht.
    Kurz nach ihrem Eintreffen in Stimmons Hall fand sich Victoria auf einem Stuhl im Ballsaal wieder. Obwohl an diesem Abend Musik gespielt wurde, würde es keinen Tanz geben. Die Stuhlreihen und vereinzelten Sofas entlang der Seitenwände waren ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass alle Aufmerksamkeit den vier Schwestern Straithwaite zu gelten hatte.
    Victoria konnte nicht anders, als sich den Hals zu verrenken, um festzustellen, ob Rockley ebenfalls gekommen war, doch sie konnte seinen dunklen Kopf nirgends entdecken. Schließlich machte sie es sich auf ihrem Stuhl bequem, um das elegante Programm zu studieren, das man zusammengerollt und mit einem blassrosa Band verschnürt hatte. Als sie es nun auseinanderfaltete, verstand sie auch den Grund. Sobald man erst

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