Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
aber wie es scheint, hat selbst unverblümte Grobheit nichts genützt.«
»Also hast du mich von Sebastian entführen lassen. Warum hast du mich nicht eingeweiht, als du kamst, um mich zu befreien? Da hättest du es mir doch sagen können.«
»Ja, und du wärst dann einfach gegangen, oder? Du wärst mit dem Pflock und der Pistole wie ein braves Mädchen zur Tür hinausspaziert, und das wäre es dann gewesen.«
»Wie du siehst, habe ich es auch so nicht getan. Du hättest mir mehr sagen müssen, als du zu mir kamst.«
»Victoria, sie haben nur auf irgendein Indiz, irgendeine falsche Bewegung von mir gewartet, um einen Grund zu haben, mir nicht zu vertrauen. Ich durfte nicht riskieren, dass sie glaubten, irgendetwas anderes wäre im Gange... etwas anderes als die Tatsache, dass ich deinen Tod nicht wollte.Warum auch immer«, fügte er mit schneidender Stimme hinzu. »Ich ließ sie in dem Glauben, denn es war besser als die Alternative. Ich hatte sogar
den Verdacht, dass sie mir absichtlich die Gelegenheit gaben, dich zu befreien, in der Hoffnung, dass ich dir etwas sagen könnte, das ihren Argwohn bestätigte. Ich wagte es nicht. Das Risiko war zu groß.«
Die Vampire hatten sie beinahe eingeholt. Sie durften hier keine Zeit mehr vertrödeln. Draußen würde sie entweder der Sonnenaufgang oder Sternenlicht erwarten, sichere Freiheit oder weitere Flucht.Victoria schob den Riegel zurück.
Die Tür flog auf, und dahinter herrschte tiefste Nacht. Wie ein mit Diamanten besetzter Schal breiteten sich die Sterne über den Himmel, ein Anblick, den Victoria normalerweise schön, in dieser Nacht jedoch enttäuschend fand. Sie hatte auf Rosa- und Orangetöne gehofft.
Max versetzte ihr einen Schubs, sodass sie nach draußen stolperte und auf der ausgetretenen Erde jenseits der Tür landete. Sie hörte sie hinter sich ins Schloss fallen und drehte sich auf dem Boden kauernd um.
Aber nein, er war da, stand hinter ihr und starrte an ihr vorbei. Reglos. Keuchend und noch immer das Schwert umklammernd, drehte Victoria sich auf den Knien wieder nach vorn. Ein Paar Stiefel trat aus der Dunkelheit und blieb vor ihr stehen.
Sie hob den Kopf und sah den Schemen eines eleganten Kinns, um das sich wie ein mondbeschienener Glorienschein silbrig schimmerndes Haar kringelte.
»Sebastian.« Der anklagende Unterton in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Wie immer ist der Zeitpunkt deines Auftauchens perfekt gewählt.«
Die Stiefel kamen näher, und ein Schatten fiel über ihre Hand mit dem Schwert. »Wie ich sehe, sind Sie recht vertraut mit der
Angewohnheit meines Enkels, stets im ungünstigsten - oder in seinem Fall besten - Moment zu verschwinden.«
Victoria reckte den Hals, um ihn ganz zu sehen, während gleichzeitig weitere Stiefelpaare aus den Schatten traten. Ihr Nacken war wieder kalt, aber zumindest hatte sie noch immer ihre gesegnete Waffe. Sie stemmte sich so langsam und gelassen auf die Füße, wie sie konnte. Die Hose klebte ihr an den Knien, mit denen sie auf der feuchtkalten Erde gekauert hatte. »Beauregard, nehme ich an. Ich hatte mich schon gefragt, ob Sie möglicherweise nur eine Ausgeburt der Fantasie Ihres Enkels sind.« Sie warf einen Blick über ihre Schulter und stellte fest, dass Max noch immer dort stand, die Tür des Theaters hinter ihm geschlossen.
Der alte Vampir lachte, was sie auf unbehagliche Weise an Sebastian erinnerte. »Es überrascht mich, dass er Ihnen überhaupt von mir erzählt hat. Aber nun zum eigentlichen Thema. Muss ich aus Ihrer Gegenwart hier draußen schließen, dass Ihr Unterfangen heute Nacht erfolglos war? Hat Nedas Akvans Obelisken aktiviert?«
Jetzt, da er sich bewegt hatte und Mond und Sterne sein Gesicht erhellten, wurde es ganz offensichtlich, dass er nicht Sebastian war. Es bestand eine gewisse Ähnlichkeit - er hatte denselben Schopf widerspenstiger Locken, wenngleich sein Haar von einem helleren Blond war als das honigfarbene seines Enkels. Er war auch älter, dabei aber nicht alt. Er musste etwa Ende vierzig gewesen sein, als der weibliche Vampir ihn überlistet und selbst zu einem Untoten gemacht hatte. Sein Gesicht zeigte dieselbe aristokratische Eleganz wie Sebastians, allerdings war seine Nase breiter und seine Lippen nicht so verlockend wie die seines Enkels. Seine Augen hingegen waren vollkommen anders; obwohl
sie nicht rot funkelten, waren sie doch unverkennbar dunkler als Sebastians. Außerdem lagen sie so tief, dass sie einen fast schläfrigen Eindruck erweckten, der
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