Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
zwei. Doch Victoria zuckte selbst dann nicht zusammen, als sie einen kleinen, pelzigen Körper an ihrem Rocksaum entlangstreichen fühlte. Beauregard duldete Ratten in seiner
Nähe? Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Lilith oder auch nur Regalado sich einen solchen Affront hätten gefallen lassen.
Doch als sie schließlich Stimmen hörte und sich an der schmutzigen Wand weiter voranpirschte, um um die letzte Ecke zu spähen, musste Victoria ihren ersten Eindruck revidieren. Ihr Weg endete vor einer Türöffnung, die von einer Art Wandteppich verdeckt wurde; er fiel gerade wieder zu, woraus sie schloss, dass Sebastian eben hindurchgeschlüpft sein musste. Also schlich sie sich heran und schob den Vorhang ein winziges Stück zur Seite, um hindurchlinsen zu können.
Doch statt einfach und unelegant entpuppte sich Beauregards Versteck als ebenso hübsch, wenngleich auch weniger plüschig eingerichtet wie Lady Winnies Salon: Teppiche bedeckten den Fußboden. Kerzen und Fackeln leuchteten in Wandhaltern, auf Tischen und in schulterhohen Kandelabern. Die Decke war überraschend hoch - selbst ein Mann von Max’ Körpergröße hätte aufrecht unter ihr stehen können. Die Möbel, zu denen auch ein Cembalo zählte, waren aus edlem, dunklem Holz gefertigt und zum Teil mit prächtigen Brokatkissen gepolstert. Eine große Holztür auf der anderen Seite verriet Victoria, dass Sebastian den Raum durch eine Geheimtür im rückwärtigen Teil betreten haben musste. Der Größe und Stärke dieses Haupteingangs nach zu urteilen - ganz zu schweigen von der eisigen Kälte in ihrem Nacken -, ließ Beauregard ein paar von seinen Freunden jenseits davon warten.
Im Inneren des Raumes beugten sich gerade zwei Schöpfe - einer weizenblond, der andere eher silbern - über einen Tisch, um etwas zu studieren, das wie ein einzelnes Blatt Papier aussah.
Victoria entschloss sich zu handeln. »Es scheint, du hast mir einen weiteren Anlass zur Beschwerde gegeben, Beauregard.«
Zu ihrer immensen Befriedigung rissen beide überrascht die Köpfe hoch. Auf Sebastians Gesicht lag ein ähnlich erstarrter, schuldbewusster Ausdruck wie in dem Moment, als er von Victoria im Konsilium ertappt worden war. Wohingegen Beauregards Miene, nachdem der anfängliche Schock verpufft war, solch hinterhältiges Vergnügen zeigte, dass sich Victoria die Nackenhaare aufstellten.
»Willkommen, meine Liebe. Willkommen in meiner bescheidenen Behausung.« Mit einer schwungvollen Geste forderte Beauregard sie auf, einzutreten.
Victoria schob sich an dem Wandteppich vorbei, wobei sie sorgsam darauf achtete, mit dem Rücken zur Wand zu bleiben, um etwaige hässliche Überraschungen von hinten zu vermeiden. Sie blieb ruhig und konzentriert, kontrollierte die rasende Wut, die durch ihre Adern und Muskeln tobte. Eins nach dem anderen.
»Wie bist du hierher gelangt?«
Sebastians Stimme lenkte Victorias Aufmerksamkeit auf ihn. Mit seiner betretenen Miene und der einzelnen, knabenhaften Locke, die ihm in die Stirn fiel, sah er in dem schmeichelnden Kerzenlicht einfach umwerfend aus. Aber noch bevor sie etwas erwidern konnte, sagte Beauregard: »Ich schätze, sie hat ihren Weg hierher auf dieselbe Weise gefunden wie zuvor ihr Liebhaber - Zander, Zavier, wie war noch mal sein Name? Bestimmt hat er ihn ihr verraten.« Lächelnd richtete er den Blick nun wieder auf sie. Seine Augen waren noch immer blau und seine Fangzähne nicht ausgefahren, trotzdem nahm Victoria
sich in Acht. »Oder vielleicht hast du dich ja an deinen Aufenthalt hier im letzten Herbst erinnert, bevor sich all die unschönen Dinge zutrugen.«
»Unschöne Dinge?«, wiederholte Victoria. Sie vermied es, Sebastian anzusehen, denn sie durfte sich auf keinen Fall ablenken lassen. »Und ich dachte, du würdest Nedas’ Vernichtung begrüßen, ebenso wie die Vereitelung seines Plans, den Obelisken zu aktivieren. Immerhin bist du dadurch zu ganz neuer Macht gelangt.«
Beauregard neigte bestätigend den Kopf. »Das bin ich in der Tat.«
»Falls dies ein geistiger Wettstreit werden soll, wirst du schnell feststellen, dass du der Unterlegene bist. Tatsächlich denke ich, dass du in jeder Hinsicht unterliegen wirst.« Sie gönnte ihm einen Blick auf den Pflock in ihrer Hand.
»Nun denn, in dem Fall sollten wir jetzt besser zum Geschäftlichen kommen. Ich vermute, du hast inzwischen festgestellt, dass ich dir dein Eigentum zurückgegeben habe, und jetzt bist du gekommen, um mir meines zu
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