Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
und machte eine weit ausholende Bewegung, mit der er die gesamte Arena umfasste, »- starb Gardeleus, der erste Venator, durch die Hand eines Vampirs. Und setzte damit jene Schlacht in Gang, die nun schon seit Jahrhunderten tobt.«
Victoria betrachtete den ovalen Platz, auf dessen einer Seite unberührte Gräser und Büsche wucherten, während die andere durch eine ganze Reihe von Ausgrabungen unterbrochen und in Form von klaffenden, dunklen Löchern verunziert wurde. Eustacia hatte ihr die Geschichte von Gardeleus und seinem letzten, mitternächtlichen Kampf gegen den ersten Vampir Judas Ischariot erzählt.
Max starrte weiter wortlos nach unten. »Es ist lange her, seit ich zuletzt hier war«, erklärte er schließlich. »Obwohl ich in
Rom geboren und aufgewachsen bin, hatte ich ganz vergessen, welche Opfer von ihm und anderen im Laufe der Zeit gebracht wurden.«
Seine leisen Worte waren so untypisch für ihn, dass Victoria anfangs nicht wusste, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Sie wollte nicht sprechen, um den Zauber nicht zu zerstören, der ihn in diesen versonnenen, nachdenklichen Menschen verwandelt hatte.
Dann löste er sich aus seiner Gedankenversunkenheit. Er drehte sich zu ihr um, und als ihre Blicke sich trafen, stockte Victoria für einen Moment der Atem. Obwohl sie von diesem riesigen Bauwerk umgeben waren und sich vor ihnen die Weite der Arena erstreckte, fühlte sie sich plötzlich eingeengt. Es war, als würde sich alles auf die kurze Entfernung zwischen ihnen reduzieren.
»Victoria«, begann Max schließlich leise. »Ich habe dir nie gesagt, wie leid es mir tut, was mit Phillip geschehen ist.«
Das war das Letzte, was zu hören sie erwartet hatte. Er hatte Phillip nie zuvor erwähnt, außer um ihr vorzuwerfen, dass sie einer Heirat überhaupt zugestimmt hatte. Seiner Ansicht nach durften Venatoren keine Ehe eingehen, da es sie zu stark von ihren Verpflichtungen ablenken würde.
Victoria war so fassungslos, dass ihr im ersten Moment die Worte fehlten. Sie brach den Blickkontakt ab und sah auf ihre kleinen, weißen, tödlichen Hände hinunter. »Ich denke jeden Tag an ihn. Und an Tante Eustacia.« In ihren Augen brannten Tränen.
Max verlagerte die Position seines großen, geschmeidigen Körpers, sodass er mit dem Rücken an der Mauer lehnte. »Und
dennoch machst du weiter, als wäre nichts geschehen. Du bist eine starke Frau.«
Victoria fühlte sich in diesem Moment überhaupt nicht stark.
Es gab Zeiten, in denen es ihr gelang, ihre Trauer zu verdrängen und ihr Leben so zu führen, als wäre ihre Seele heil. Als wäre ihr Herz in jener Nacht, in der Phillip zum Vampir geworden war, nicht in Stücke gerissen worden. Es gab sogar Stunden, hin und wieder auch einen ganzen Tag, in denen sie die Bürde ihres Verlusts - ihrer Verluste - nicht spürte und sie sich für kurze Zeit vormachen konnte, dass ihr Leben nicht von Pflichten bestimmt und von Einsamkeit definiert wurde.
Sie ging vorsichtig in die Knie und ließ sich zu Boden sinken. Selbst im Sitzen reichten ihr die Seitenmauern gerade bis zu den Schultern, sodass sie die Arena noch immer überblicken konnte. Nun konnte sie sich zumindest anlehnen, was sie mit einem Mal auch bitter nötig hatte. »Wie hätte ich mich einfach abwenden und weggehen können? Das Böse lauert überall, und wir müssen es aufhalten, denn sonst übernimmt es eines Tages die Herrschaft über die Welt. Natürlich mache ich weiter.«
Fast dasselbe hatte sie erst ein paar Monate zuvor zu Sebastian gesagt. Er hatte es nicht verstanden.
»Ich weiß.« Max’ Stimme war ein leises Raunen, kaum mehr als ein Flüstern, aber sie hörte ihn trotzdem.
Sie sah zu ihm hoch, wie er da vor ihr aufragte, wobei sie mit dem Kopf die Mauer streifte, sodass winzige Steinchen von ihr abbröckelten und zusammen mit ein wenig Erde und dürren Blättern auf ihre Schulter rieselten - so wie früher an diesem
Abend der Vampirstaub. Nur dass es viel einfacher war, das bisschen Erde abzuklopfen. Ganz im Gegensatz zu den Überresten eines Untoten, der für sein frevelhaftes Verlangen, die sterbliche Hülle seines Selbst zu überwältigen, zu schänden und auszusaugen, zu ewiger Verdammnis verurteilt war.
Sie verfielen wieder in Schweigen. Dieses Mal war es eine behagliche Stille, die von leiser Trauer und nicht von jener unterschwelligen Spannung durchdrungen war, die sonst immer zwischen ihnen zu herrschen schien. Schließlich rang Victoria sich dazu durch, eine Frage zu stellen, die
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