Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
hatte seinen Mantel nach unten gezogen. Ihm die Hand verbrannt, wenn er es berührte. Ihn verlockt, wenn er abends seine Taschen leerte. Einmal war er morgens aufgewacht und hatte es in der Hand gehalten.
Das war der Tag gewesen, an dem ihm klar wurde, dass es an der Zeit war, nach Rom zurückzukehren und mit Wayren zu sprechen.
Diese musterte den Tiegel nun, machte jedoch keine Anstalten, ihn anzufassen. Dann sah sie erwartungsvoll wieder zu Max, so als ahnte sie bereits, was er als Nächstes sagen würde.
»Falls ich die Salbe benutze, werde ich meine Fähigkeiten als Venator verlieren, und da ihre Bisse mein Blut vergiftet haben, besteht für mich auch keine Möglichkeit mehr sie wiederzuerlangen, selbst wenn ich mich noch einmal der Prüfung unterziehe. Ich werde alles vergessen, was ich über diese Welt weiß. So, als hätte ich dieses Wissen nie besessen.«
»Ähnlich wie ein Gardella, der sich weigert, seinem Ruf zu folgen - so, wie Victorias Mutter es getan hat -, wirst du anschließend ein nichtsahnender, ganz normaler Mann sein.«
Ein ganz normaler Mann.
Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen, wie das sein würde.
»Du möchtest frei sein von Lilith, aber trotzdem hast du bislang keinen Gebrauch von ihr gemacht«, folgerte Wayren.
»Ich habe mich entschlossen, es nicht zu tun.«
Es gab Momente wie diesen, in denen er überzeugt war, dass Wayren Gedanken lesen, vielleicht sogar die Zukunft sehen konnte. Gott allein wusste, wie lange es sie schon geben musste, dass sie diese Fähigkeit erlernt hatte. Falls so etwas überhaupt erlernbar war. Sie sah ihn mit ihren graublauen Augen ruhig und durchdringend an. »Du hast genug getan, Max. Du hast siebzehn Jahre deines Lebens als Wiedergutmachung für das geopfert, was deinem Vater und deiner Schwester widerfahren ist. Nun kannst du endlich frei sein.«
Großer Gott, Lilith hatte beinahe dasselbe gesagt. Er hatte darüber meditiert, gebetet, sich selbst gepeinigt. In all den Wochen, seit er das Versteck der Vampirkönigin verlassen hatte, hatte er kaum an etwas anderes gedacht. Aber … »Frei? Was würde ich hinter mir zurücklassen? Noch mehr Tote? Noch mehr Zerstörung und Verderbtheit?«
Und was würde er während des Prozesses verlieren?
»Du hättest dann keinerlei Erinnerungen mehr. Sie wären allesamt getilgt, und du könntest wirklich und wahrhaftig ein freier Mann sein.«
»Denkst du, ich weiß das nicht? Was meinst du wohl, wie
verlockend die Vorstellung ist, nicht ständig dieses verdammte Jucken an meinem Hals zu spüren? Diesen Schmerz, der mich überkommt, wann immer ihr der Sinn danach steht?«
Wayren zuckte sanft mit den Schultern. »Ist es denn so viel besser, Max, sein ganzes Leben lang eine Schuld mit sich herumzutragen, sie als Schutzschild gegen Gefühle und ein echtes Leben zu benutzen? Von niemandem wird verlangt, dass er eine solche Bürde bis ans Ende seiner Tage trägt.«
Da wurde ihm klar, dass sie nicht wirklich verstand. »Die Schuld ist keine Bürde mehr, Wayren. Es ist Liliths Fluch, der mich belastet. Ich geißele mich nicht länger für die Dinge, die ich getan, die Entscheidungen, die ich getroffen habe. All das gehört längst der Vergangenheit an und kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden, wenngleich ich alles getan habe, um für meine Vergehen zu büßen.
Doch so verführerisch die Gnade der Ahnungslosigkeit auch sein mag, ich kann es dennoch nicht tun. Ich weiß, dass ich gebraucht werde. Wie kann ich da ein Leben in Ahnungslosigkeit wählen? Wie viele Tode kann ich verhindern, indem ich bleibe? Ich habe nicht das Recht, mich abzuwenden, wenn ich doch einer der Wenigen bin, die sie verhindern können.«
Wayren hielt die schlanken Finger im Schoß verschränkt. Sie hatte ihn während seiner leidenschaftlichen Ansprache nicht aus den Augen gelassen. »Du wurdest nicht zum Venator berufen, sondern du hast diese Wahl selbst getroffen. Du bist nicht auf dieselbe Weise verpflichtet wie die Gardellas, die ihrem Ruf folgen.«
»Begreifst du denn nicht? Ich habe mich im selben Moment
dazu verpflichtet, als ich Vater und Giulia der Tutela auslieferte.« Sein Kiefer knackte unter dem Druck seiner Zähne.
»Du warst kaum mehr als ein Kind. Du dachtest, du würdest deiner Familie ein Geschenk machen - das der Unsterblichkeit -, was exakt das ist, was die Tutela dich glauben machen wollte. Auf diese Weise haben sie starke junge Männer wie dich rekrutiert.«
»Du wagst es, mein Vergehen entschuldigen zu wollen?
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