Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
Güte, Victoria, hast du denn nicht gehört, was wir gesagt haben?«
»Es ist doch auch egal, Winnie. Der Papst war schon seit dem Krieg nicht mehr hier in Rom, du brauchst also nicht zu befürchten, dass er dich hören könnte«, gab Nilly zurück und zog dabei eine mit Kohle nachgezogene Braue hoch.
»Was hat das Ganze jetzt mit den Palombaras zu tun?«, fragte Victoria noch einmal, nun etwas nachdrücklicher. Sie setzte sich wieder. Das Konsilium würde warten müssen.
»Selbstverständlich wäre es durchaus denkbar, dass es gar nicht die Palombaras selbst sind, die diese … Zusammenkunft veranstalten«, erwiderte Melly und wickelte dabei eine der flaumigen Locken, die ihr auf die Wange fielen, um ihren linken Zeigefinger. »Es wird furchtbar aufregend werden, Victoria. Was für ein Pech, dass du nicht teilnehmen kannst. Ich weiß nicht genau, wie viele Leute dort sein werden; aber ich bezweifle, dass es solch einen Andrang geben wird, wie wir ihn von zu Hause kennen. Immerhin ist heute Aschermittwoch. Und außerdem ist es ja auch gar keine Party.«
»Na ja, vielleicht würde ich sie doch nur sehr ungern versäumen, deshalb verrate mir doch bitte endlich, worum es bei dieser Zusammenkunft geht.« Victoria merkte, dass ihr Kiefer zu schmerzen begann, deshalb zwang sie sich, ihn zu entspannen, bevor noch etwas zu Bruch ging. Das kraftvolle Zähneknirschen eines Venators konnte durchaus Langzeitschäden zur Folge haben.
»Es wäre einfach fabelhaft, wenn du mitkommen könntest«, trällerte Winnie, die in diesem Moment überhaupt nicht wie eine Herzogin klang. »Die Familienvilla, die jahrzehntelang verschlossen war, wird heute Abend für die Par-, die Zusammenkunft wieder geöffnet. Es wird ziemlich abenteuerlich werden, denn die Villa Palombara ist schon seit Ewigkeiten unbewohnt, die Familie ist weg und -«
»Es soll eine Art Schatzsuche geben«, flötete Lady Nilly. »Sie haben nur eine auserwählte Gruppe von Freunden dazu eingeladen,
ihnen bei der Suche zu helfen, und die Tarruscellis bestehen darauf, dass wir uns ihnen anschließen.«
»Eine Schatzsuche?« Victoria fühlte, wie sie zu frösteln begann. »Nach was um alles in der Welt solltet ihr in einem alten, leer stehenden Haus suchen?«, fragte sie, während sie gleichzeitig der Verdacht beschlich, dass sie es vielleicht schon wusste.
»Es ist eine Schnitzeljagd«, gurrte Lady Melly. »Wir wissen zwar nicht genau, wie wir finden sollen, wonach wir suchen, aber ich denke, es wird furchtbar amüsant werden. Nun ja, nicht wirklich amüsant«, wiegelte sie mit betretener Miene ab. »Eigentlich ist es nichts weiter als eine gute Tat. Wir helfen der Familie lediglich bei der Suche nach einem Schlüssel, der schon seit mehr als hundert Jahren vermisst wird. Ich bin sicher, dass selbst der Papst nichts dagegen einzuwenden hätte. Wenn er denn hier wäre.«
Ganz ohne Frage.
»Das klingt wirklich faszinierend«, seufzte Victoria. »Deshalb habe ich gerade beschlossen, euch doch zu begleiten.«
Es nahm ein paar weitere kostbare Minuten in Anspruch, bevor sie sich von den enthusiastischen Damen verabschieden konnte, und dann dauerte es noch einmal eine knappe Dreiviertelstunde in der Kutsche, bis Oliver sie auf Umwegen von der Villa Gardella zu der kleinen Kirche Santo Quirinus gebracht hatte.
Deshalb war es schon nach fünf Uhr nachmittags, als sie endlich die kleine, schlichte Kirche betrat, in deren Vestibül man eine Schale mit Asche aufgestellt hatte. Victoria stippte den Finger hinein, dann bekreuzigte sie sich, wobei sie einen dunklen Fleck auf ihrer Stirn hinterließ und winzige Ascheflöckchen
nach unten rieselten und in ihren Wimpern hängen blieben.
Es waren mehrere Besucher in der Kirche, daher nahm sie sich Zeit für ein kurzes Gebet, bevor sie an dem Altargitter vorbei in den Beichtstuhl schlüpfte. Sie schloss die Tür hinter sich, so als würde sie mit einem Priester sprechen wollen, doch statt sich hinzuknien, tastete sie nach dem kleinen Riegel der Geheimtür neben ihrer Sitzbank. Lautlos glitt sie zur Seite, und dahinter kamen drei Stufen zum Vorschein, die in einen langen, schmalen, mit Ikonen geschmückten Gang führten.
Victoria achtete darauf, nicht auf die mittlere Stufe zu treten, denn diese war, um vor dem Eindringen nicht befugter Personen zu warnen, mit einer Alarmvorrichtung im Konsilium verbunden.
Der Korridor, in dem sie nun stand, schien nichts weiter zu sein als eine Gemäldegalerie, die vor einer Ziegelmauer endete.
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