Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
sie das Gefühl hatte, rot werden zu müssen. »Dann wird mich ja vielleicht meine Frau mit meinem Vornamen ansprechen.«
»Ja, das ist in der Tat üblich … vor allem, wenn man unter sich ist.« Irgendwie hatte Victoria das Gefühl, dass ihr die Kontrolle über das Gespräch entglitten war, und so machte sie wieder einen Knicks, um sich zu verabschieden. »Ich werde mich jetzt zurückziehen, Mylord, und die notwendigen Vorbereitungen treffen, um Ihnen die Räumlichkeiten zu überlassen, die Ihnen zustehen. Bitte verzeihen Sie, dass ich mich nicht schon längst darum gekümmert und gleich alles nach meiner R ückkehr aus Italien in die Wege geleitet habe.«
»Nein«, sagte er und streckte die Hand nach ihr aus – um dann jedoch gleich innezuhalten, als habe er gemerkt, dass er zu weit ging. »Nein, Mrs. … Mylady. Bitte, machen Sie sich meinetwegen keine Umstände. Ich bin an viel kleinere, weniger komfortable Behausungen als dies hier gewöhnt. Es käme mir sehr unfreundlich vor, Sie zu vertreiben. Das alles hat Zeit. Es muss doch noch andere Räume geben, in denen ich meine Sachen unterbringen kann.« Jedes Mal, wenn er ich sagte, klang es so, als würde er plötzlich etwas begreifen.
»Das ist sehr zuvorkommend von Ihnen«, erwiderte Victoria, die nicht sicher war, was sie von seinen Einwänden halten sollte. Einerseits hatte sie nach einer Entschuldigung gesucht, um aus den Räumen auszuziehen, die der Herrin des Hauses zustanden und neben den Zimmern des Hausherrn lagen. Andererseits war sie eigentlich noch nicht bereit, sie wegen der bittersüßen Erinnerungen, die sie mit ihnen verband, aufzugeben. »Es gibt viele sehr bequeme Zimmer, unter denen Sie auswählen können. Ich werde das Personal über Ihre Wünsche in Kenntnis setzen, wenn Sie möchten.«
»Das käme mir sehr entgegen. Ich muss gestehen, dass es mir schwerfällt, die Sprache, die hier gesprochen wird, zu verstehen. Es hat ewig gedauert, bis ich wusste, was der Butler eigentlich sagt – er ist doch der Butler, oder? Der Mann, dessen Augenbrauen weiter nach vorn ragen als seine Nase?«
Als Victoria überrascht lächelte und nickte, fuhr er mit dem ihm eigenen, seltsam gedehnten Tonfall fort: »Ich habe erst beim dritten Anlauf verstanden, dass ich mein Pferd dem Stallburschen überlassen sollte und ich erst um drei Uhr Tee bekommen könnte – allerdings hat er mir irgendetwas anderes zum Essen angeboten, irgendetwas, das er ›Mahl‹ nannte. In Kentucky trinken wir nicht häufig Tee, aber wenn, dann in Momenten, wenn wir Appetit darauf haben … und nicht um drei.«
Victoria konnte das leichte Lächeln nicht unterdrücken, das um ihre Lippen zuckte und sofort kniff sie den Mund zusammen. Sie wollte ihn auf gar keinen Fall kränken. Er besaß einen erfrischenden Charme und Humor, der sie einen Moment lang vergessen ließ, wie düster ihr Leben sonst war. Die feinen Damen des ton würden ihm in kürzester Zeit aus der Hand fressen. Und da begriff sie erst, wovon er vorhin gesprochen hatte. »Als Sie von dem schweren Ding sprachen, da meinten Sie den ton ?«
»Ja, Madam, genau. Wo finden wir den ton ? Und was machen wir damit?«
Wieder musste Victoria ein Lächeln unterdrücken, ehe sie erklärte, dass haute ton der Spitzname der crème de la crème der Londoner Gesellschaft war – und dass er jetzt auch ein Mitglied von diesem schweren Ding war. Am Ende, als sie alles erklärt hatte, waren beide am kichern. Die Unterhaltung mit James – er hatte darauf bestanden, dass sie ihn so nannte (»denn wenn Sie es nicht tun, weiß ich ja gar nicht, mit wem Sie reden!«) – endete damit, dass er ihr das Versprechen abrang, ihm beim Dinner im Speisesaal Gesellschaft zu leisten.
Doch erst würde sie Kritanu, der bei Briyanis Leichnam in der Kapelle war, einen Besuch abstatten; ihr blieb dann noch genug Zeit, um sich fürs Abendessen umzuziehen.
Trotz der Zeit, die es sie kosten und die ihr an anderer Stelle fehlen würde, hatte Victoria den Verdacht, dass die Mahlzeit wahrscheinlich der erfreulichste Teil ihres Tages sein würde.
* * *
Es war weit nach elf Uhr abends desselben Tages, als Victoria sich bei James Lacy entschuldigte, um sich zurückzuziehen, damit er den französischen Brandy aus Armagnac genießen konnte, der für ihn eine Entdeckung war. Anscheinend war er es gewöhnt, einen in Kentucky weit verbreiteten Fusel zu trinken, der sich genauso scheußlich anhörte, wie er wohl auch schmeckte. Sie selbst hatte zwei Gläser Sherry
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