Das Buch der Verdammnis (German Edition)
Schicht. Die Decke sah aus, als sei der Raum in Felsen gehauen, und wenn man nach oben sah, hatte man das Gefühl, in einem Kohlebergwerk zu stehen. Dazu passten jedoch nicht die Regale, die an beiden Wänden standen und bis zur Decke reichten.
Die Regale waren so voll gestellt, dass man nicht sah, welche Farbe die Wände dahinter hatten.
Überall waren Manuskripte. Sie standen nicht mit dem Buchrücken nach vorne wie Bücher auf einem Regal, sondern waren irgendwie kreuz und quer auf den Regalen geschlichtet.
Die meisten waren schon zerfleddert, Papier quoll aus ihnen, manche hatten Einbände in verschiedensten verblichenen Farben, andere waren nur geheftet.
Eine Schätzung, wie viele Manuskripte hier lagerten, war unmöglich, aber man hatte das Gefühl, dass es sich um Millionen handeln musste.
„Ziemlich unheimlich hier“, flüsterte Meike. Wir gingen langsam den großen Gang entlang, man sah nicht, wo der Raum aufhörte, dafür war das Licht unserer Taschenlampen zu schwach, man sah nur ein schwarzes Loch vor sich und rechts und links Berge von Papier.
Der Gang verengte sich, aber es konnte auch sein, dass die Manuskripte näher rückten und uns erdrücken wollten.
Ich war oft in der städtischen Bibliothek. Dort liebte ich die Atmosphäre, ich hatte das Gefühl, dass die Anwesenheit von unzähligen Büchern einem Raum etwas Besonderes gab. Als wäre man in einer Zauberwelt, in der jeden Moment ein Wunder passieren konnte und eine der Geschichten, die hinter vergilbten Buchrücken warteten, zu leben begann.
Hier war es ganz anders. Auch dieser Raum lebte, die Regalwände schienen zu atmen, ein kalter, modriger Hauch ging von ihnen aus, aber der Gedanke an die vielen Geschichten, die auf den Regalen lagerten, ließ einen erschauern.
Es war, als würde in den Manuskripten noch das Herzblut der abgelehnten Autoren schlagen, als hörte ich ein tausendfaches Wispern.
„ Nimm mich“, flüsterten die Manuskripte. „Ich bin die eine Geschichte, die alle überstrahlt.“ Aber das Wispern war im Lauf der Jahre schwächer geworden und hoffnungsloser.
Der Raum hatte sich mit Verbitterung und dem Hass der abgelehnten Autoren gefüllt. Der Hass lag in der Luft und schien einem den Atem zu nehmen.
„Sie finden keine Putzfrau mehr, die hier herunterkommt“, flüsterte Meike.
Ihre Stimme war so leise, dass man sie fast nicht hörte. Als hätte sie Angst, sie könnte etwas wecken, wenn sie zu laut sprach.
„Und wo soll jetzt dieses magische Buch sein?“, fragte sie.
„ Ich habe keine Ahnung.“
Wir blieben stehen und beleuchteten mit unseren Taschenlampen die Umgebung. Überall nur Manuskripte. Es war, als würden sie wachsen wie Schlingpflanzen, um immer mehr von dem Raum in Besitz zu nehmen, bis alles am Ende ein undurchdringlicher Bücherdschungel war, aus dem man nicht mehr herausfand.
„Hast du ne Ahnung, wie dieses Buch aussieht, nach dem wir suchen?“
Ich musste an das Buch denken, das im verfallenen Haus im Dianapark auf einem Pult gelegen hatte. Damals hatte ich nur einen Haufen von altem Papier darin gesehen. Aber vielleicht war das das Buch, von dem der Clown gesprochen hatte. Das magische Buch. Es hatte eine wichtige Rolle in den letzten Hank-Lester-Heften gespielt. In dem verfallenen Haus war es aufgeschlagen gewesen, ich hatte den Einband nicht gesehen, aber in der Hank-Lester-Reihe hatte ich geschrieben, dass auf seinem vordere n Einband ein riesiges goldenes Fragezeichen gedruckt war.
„ Es ist schwarz, mit einem Fragezeichen auf dem Einband.“
Meike schnaufte. „Wie sollen wir hier dieses Buch finden?“
„Gehen wir weiter“, sagte ich.
Wir liefen weiter in den immer enger werdenden Schlauch. Die Dunkelheit um uns her wirkte wie ein schwarzer Zementbrei, der mit jedem Schritt klebriger und fester wurde. Es war absolut still, wir hörten nur unsere Schritte.
Dann sah ich vor uns auf den Boden einen schwachen Lichtschein. Noch ein paar Schritte und wir hatten das Ende des Gangs erreicht. Wir standen vor einer Tür. Durch einen winzigen Spalt am Boden drang Licht in den Gang. Ich fuhr mit meiner Taschenlampe über die Tür. Sie war aus massivem Eisen. Statt eines Türgriffs sah ich eine Art Lenkrad, das man offensichtlich drehen musste.
„ Wohin führt diese Tür?“, fragte ich.
„ Ich hatte keine Ahnung, dass es hier noch eine Tür gibt.“
Ich legte die Taschenlampe so auf den Boden, dass sie auf die Tür leuchtete. Dann versuchte ich, an dem Rad zu drehen. Ich musste
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