Das Buch der Verdammnis (German Edition)
hatte, sah aus, als wäre ein hungriger, alles mit sich reißender Tsunami darüber gerast. Als ich doch noch ein letztes Stück Quarkschnitte entdeckte und danach greifen wollte, rempelte mich eine Blondine so heftig, dass ich mich am Tisch festhalten musste. Sie schnappte sich das Stück Schnitte, sah mich einen Moment triumphierend an und trat zu einer Gruppe Frauen, die mechanisch von ihren Tellern aßen.
Ich ließ den Blick über das leere Büffet streifen, schaute dann auf die Gruppen mampfender Frauen um mich her. Niemand erwiderte meinen Blick, alle sahen mit leeren Augen vor sich hin. Etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Mein Magen krampfte sich zusammen, und das lag nicht daran, dass ich aus der Büffetschlacht mit leeren Händen gegangen war.
Als Meike den letzten Satz ihrer Lesung las, schloss sie das Buch und sah in das Auditorium. Ihre Zuhörerinnen spendeten Applaus. Meike lächelte unsicher.
Dann saß sie vor einem Stapel ihrer Bücher und signierte, während eine lange Warteschlange ihrer Fans auf den großen Moment wartete, da sie sich ihnen zuwenden würde.
Als die letzten Frauen gegangen waren, stellte ich mich vor den Signiertisch. Meike schlug eines ihrer Bücher auf.
„ Für wen soll ich signieren?“
Sie sah auf.
„Leon, du bist also doch gekommen, das ist toll. Wie hat es dir gefallen?“
Eine schwierige Frage. Ich schluckte.
„Es war ungefähr so wie ein Nachmittag im Lieblingscafé meiner Mutter.“
Sie lachte. „Ich verstehe, was du meinst.“
Eine beleibte Anhängerin ihrer Literatur kam noch einmal in den Buchladen gestürzt. Trotz ihrer mehr als hundert Kilo bewegte sie sich mit erstaunlicher Eleganz. Sie nahm einen Regenschirm von einem der Stühle. Dann lächelte sie Meike zu.
„ Hab ich vergessen“, sagte sie. Sie blickte auf Meike, immer noch mit diesem Lächeln, dann sah sie mich an. Lange, viel zu lange blieb ihr Blick auf mir haften. Ich erkannte sie, die Frau im gepunkteten Kleid, die neben mir gesessen hatte. Ihr Starren ließ mich frösteln.
„ Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend“, sagte sie. Es klang wie eine Drohung.
Dann bewegte sie sich langsam zur Tür und verschwand.
„ Irgendwas war heute komisch“, sagte Meike.
Wir saßen in einer Kneipe in der Nähe der Buchhandlung. Der Raum war voll, wir hatten nur noch zwei freie Plätze am Tresen gefunden. Hier hockten wir vor unseren Getränken – ich vor einem Weizenbier, sie vor einer Weinschorle.
„Es war ein etwas seltsames Publikum“, sagte ich.
„ Genau, diese ganzen komischen Frauen. Bei meinen früheren Lesungen war das nie so gewesen. Und wie sie bei dem Büffet gefressen haben, das war unglaublich.“
Meike nahm einen Schluck von ihrer Schorle, wippte mit ihrem Körper kurz zu der Musik, die gedämpft aus den Lautsprechern drang, irgendein Lied von Shakira, und nahm mich dann ins Auge. „Und jetzt erzählst du mir, warum du heute aufgetaucht bist. Dass es wegen mir oder wegen meines Buches war, das glaube ich dir nicht.“
„Aber natürlich bin ich wegen deinem Buch gekommen. Und dabei hatte ich heute Morgen solche Schmerzen. Meine Hämorrhoiden, du weißt ja, dass ich damit Probleme habe.“
„ Hör auf, mir so was zu erzählen. Hast du wirklich gedacht, ich glaub das.“
Ich sah nachdenklich auf Meike. Heute trug sie einen langen, grauen Rock und eine Bluse, die eine verwaschene, undefinierbare Farbe hatte. Dazu eine hochgesteckte Frisur, die sie 100 Jahre älter machte. Gonzo hatte einmal behauptet, sie würde auf mich stehen. Aber ich hatte da meine Zweifel. Ich passte einfach nicht in ihre Biedermeierwelt. Wenn Meike auch manchmal Dinge sagte, die mich überraschten und meinem Bild von ihr Lügen straften. Wie eben jetzt, als sie meine Erklärung mit den Hämorrhoiden mit einem Satz weggewischt hatte.
„Ich hatte letzte Nacht einen seltsamen Traum. Oder besser gesagt, ich weiß nicht genau, ob das ein Traum war. Das war verdammt schräg. Und in den letzten Wochen sind viele solche Dinge passiert, wo ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht in einem verdammten Albtraum stecke.“
Meike sah mich aufmerksam an.
„Kannst du dir vorstellen, was ich meine?“, fragte ich.
Sie winkte ab. „Mir geht es immer so, wenn ich an einem neuen Roman schreibe. Die Fantasie ist einfach überhitzt und da denkt man am Ende selbst, man steckt mitten in einem Roman.“
„Ja“, sagte ich. „Daran liegt es vielleicht.“
„ Was war denn das für ein Traum letzte
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