Das Buch der Verdammnis (German Edition)

Ich erstarrte, als ich den Mann erkannte. Das da vorne war Berthold November. Er machte gerade eine Pause, ließ den Applaus abebben.
    Unsere Gruppe war offensichtlich zu spät zu der Rede gekommen. Meike und ich standen ganz am Rand, wurden an die dunkle, feuchte Felswand gedrängt, aber das war mir lieber, als mitten unter den Nachtmutanten zu stehen.
    „ Ich weiß, dass viele von euch Zweifel haben“, rief November in das Publikum. Er trug ein kleines Mikrofon um den Kopf, sodass seine schneidende Stimme den ganzen riesigen Raum ausfüllte. Er wirkte anders als im Kurs, als er immer leise und zurückhaltend gesprochen hatte. Während er redete, gestikulierte er wild mit seinen Händen und er sprach mit einer Inbrunst, die auf mich lächerlich wirkte.
    „ Viele von euch zweifeln, ob sie schon bereit sind für diesen Schritt. Viele stellen sich Fragen: Was wird mir mein neues Leben bringen? Wird es besser sein? Und warum gerade ich? Warum bin ich auserwählt, ein Schweinemonster zu sein? Warum ein Schwein?“
    November machte eine Pause, hatte die Augen geschlossen.
    „Wir haben uns daran gewöhnt, wie die Menschen über Schweine reden. Du isst wie ein Schwein, sagen sie. Wie im Saustall sieht es hier aus, sagen sie. Kein Schwein hält das aus, sagen sie. Und niemand denkt mehr darüber nach, welche Verachtung und Herabwürdigung sich in diesen Worten zeigen.“
    Nach jedem seiner Sätze war ein tausendfaches, zustimmendes Gemurmel zu hören.
    „Wenn ein Mensch sagt, kein Schwein ruft mich an, dann meint er damit, dass ein Schwein ein Niemand ist.“
    November hatte die letzten Worte geschrien, seine Stimme hatte sich überschlagen und donnernder Applaus ertönte, kaum dass er seinen letzten Satz gesprochen hatte.
    „Jahrhundertelang wurden Schweine von den Menschen unterdrückt, erniedrigt, zu Wurst verarbeitet, gepökelt und geräuchert, und der Name der Schweine wurde als Schimpfwort missbraucht. Doch die Demütigungen haben ein Ende.“
    Wieder machte November eine Pause.
    „In der nächsten Vollmondnacht werdet ihr alle in euer neues Leben eintreten. Dann werdet ihr zu einem Schwein. Aber nicht irgendein Schwein. Ihr werdet die Krone der Evolution, ihr werdet ein Überschwein. Ihr werdet eine Armee von Superschweinen und ihr seid bestimmt, über die Welt zu herrschen.“
    November hatte sich in einen wahren Rausch geredet, und ich sah, dass sich seine Begeisterung auf die Zuhörer übertrug. Die Nachtmutanten auf dem Plateau waren in Trance, sie wiegten sich hin und her, die meisten hatten die Augen geschlossen und nickten in einem fort, während November auf der Bühne hin und herhüpfte und sich die Seele aus dem Leib schrie.
    „Ihr seid die Überschweine, ihr seid die Armee der Superschweine.“
    Die Nachtmutanten trampelten mit ihren Füßen auf den Boden, dass das Plateau zu zittern begann und jeder den vibrierenden Applaus körperlich spüren konnte. November schrie weiter, seine Stimme übertönte den Lärm.
    „Und daher könnt ihr stolz sein. Ich möchte, dass ihr nie euren Stolz vergesst auf das, was ihr seid. Wenn einer von euch, und es ist egal, woher er kommt, aus dem Norden oder aus dem Süden, aus dem Westen und dem Osten, wenn einer von euch sich einem anderen vorstellt, dann sollte er stolz sagen können: Ja, ich bin ein Schwein.“
    Der Applaus tat in den Ohren weh. Und dann war ein tausendstimmiger Sprechgesang zu hören: Ja, ich bin ein Schwein, ja, ich bin ein Schwein.
    November lächelte, als er weiterredete.
    „ Und es wird nicht mehr lange dauern, da werden die Menschen, wenn sie einen von euch sehen, sagen, - und es wird bewundernd klingen, mit einem Hauch von Neid. – Sie werden sagen: Seht her, da ist ein Schwein.“
    Die Nachtmutanten ließen ein grunzendes Lachen hören. Erst still, dann immer lauter, bis der ganze Saal erfüllt war von ihrem Gelächter.
    „Das ist es, was ihr nie vergessen dürft: Seid stolz darauf, ein Überschwein zu sein.“
    Die Nachtmutanten klatschten sich in eine wahre Ekstase. November schrie, dass sein Gesicht ganz rot wurde.
    „Und glaubt nicht, was die Menschen sagen; dass ihr hässliche Schweinsgesichter hättet. Ich habe gestern Nacht einen von euch nach der Verwandlung gesehen, ich habe ihn gesehen und ich habe gedacht, verdammt, dieses Schwein ist sexy.“
    Das Jubeln der Nachtmutanten kannte kein Halten mehr. November hob seine Hände in die Höhe und ließ sich feiern.
    Die Nachtmutanten neben uns drängten nach vorne, ich sah, dass der