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Das Buch der verlorenen Dinge

Das Buch der verlorenen Dinge

Titel: Das Buch der verlorenen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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Zwielicht. Selbst die Blumen mit den kleinen Gesichtern waren verschwunden, denn es wurden keine Kinder mehr in dunklen Waldecken getötet, und ihre Seelen hatten Frieden gefunden. Die Sonne ging unter, aber es war ein prachtvoller Anblick. Der Himmel erstrahlte in Purpur, Rot und Orange, als der Tag in heiterer Stille zur Neige ging.
    Ein Mann stand vor David. In der einen Hand trug er eine Axt, in der anderen eine Girlande aus Blumen, die er bei seinem Spaziergang durch den Wald gepflückt und mit langen Grashalmen zusammengebunden hatte.
    »Ich bin zurückgekommen«, sagte David, und der Förster lächelte.
    »Das tun die meisten am Ende«, erwiderte er. Zum ersten Mal bemerkte David, wie sehr der Förster seinem Vater ähnelte, und er wunderte sich, weshalb ihm das nicht schon früher aufgefallen war.
    »Komm nur«, sagte der Förster. »Wir haben schon auf dich gewartet.«
    In den Augen des Försters erblickte David sein Spiegelbild, und was er da sah, war ein junger Mann, denn ein Mann bleibt immer das Kind seines Vaters, ganz gleich, wie alt er ist oder wie lange die beiden getrennt waren.
    David folgte dem Förster über Waldwege, durch Lichtungen und über schmale Bäche, bis sie schließlich zu einem Haus kamen, aus dessen Schornstein eine träge Rauchfahne aufstieg. Auf der Weide daneben stand ein Pferd, das zufrieden am Gras knabberte. Als David näher kam, hob es den Kopf, stieß ein erfreutes Wiehern aus und trabte mit wehender Mähne auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. David trat an den Zaun, legte seine Wange an Scyllas weiche Nüstern und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Stute folgte ihm, als er auf das Haus zuging, und stupste ihn dabei mehrmals sanft gegen die Schulter, als wollte sie ihn an ihre Gegenwart erinnern.
    Die Tür des Hauses öffnete sich, und eine Frau trat heraus, mit dunklem Haar und grünen Augen. In ihrem Arm hielt sie einen winzigen Jungen, gerade erst geboren, der sich an ihrer Bluse festklammerte, denn an jenem Ort war ein Leben nur ein Augenblick, und jeder Mensch erträumt sich seinen eigenen Himmel.
    Und in der Dunkelheit schloss David die Augen, und alles, was verloren war, war wiedergefunden.

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